[Buenos Aires] Nach ein paar Wochen in Buenos Aires trauen wir uns an die Frage heran: was ist eigentlich typisch für die Stadt und ihre Bewohner*innen (die „Portenos“)? Nach der Lektüre von Reiseführern in Deutschland schien die Antwort simpel: der Tango! Der hat hier zwar Tradition, aber wer hier überall tanzende Paare auf den Straßen und Plätzen erwartet, der wird enttäuscht werden. Es gibt Ecken wie San Telmo, wo sonntags mal ein paar für die erwartungsvoll herbeigeströmten Touristen gekonnt einen Tango hinlegt und ja, es gibt an vielen Ecken der Innenstadt Tango-Shows (mit Dinner, mit/ohne VIP-Status etc.), die sind aber in der Regel als gezielte Angebote für die touristische Nachfrage überteuert (eher über 100,- USD pro Person). Portenos dürften da eher rar sein; die vergnügen sich tatsächlich eher ab 22 Uhr und oftmals bis in den frühen Morgen bei den sogenannten Milongas (eine gute Übersicht findet sich hier: hoy-milonga.com).
Im Übrigen darf an dieser Stelle der Hinweis nicht fehlen, dass der Tango mit deutscher Hilfe entstanden ist: wir können zwar nicht wie die Argentinier*innen die Hüften schwingen, aber beim Bau von Instrumenten sind wir – zumindest Anfang des 20. Jahrhunderts – Meister und Mitwirkende gewesen. Elementarer Bestandteil des Tangos ist das Bandoneon, das von vermutlich eher spröden Musiklehrer Heinrich Band aus Krefeld entwickelt und unter dem Kunstnamen „Bandoneon“ (Band & Akkordeon) vertrieben wurde. Es gelangte Ende des 19. Jahrhunderts in die Hafenkneipen von Buenos Aires und wurde fester Bestandteil des typischen Tango-Orchesters („Orquesta Tipica“).
Was allerdings stimmt und jedes Vorurteil bestätigt, ist die Liebe der Argentinier*innen zum Fußball. Das Land und die Leute sind ungeheuer stolz auf den Titel als amtierender Weltmeister und Messi ist in allen Varianten der Vergötterung und Verehrung in Geschäften, Plakaten und Streetart (siehe Blog-Beitrag #42) zu sehen. Als wir in Buenos Aires anlandeten, kam das Gespräch mit dem Jungen, der uns die Schlüssel zur Wohnung brachte, schnell auf Fußball. Er und seine beiden Freunde waren „Boca Juniors“, entsprechend gelb-blau gekleidet und 250% Boca-Fans. Im Gegensatz zu Riverplate, dem Club der Reichen, gilt Boca Junior als der Club der Underdogs und einfachen Bevölkerung. Entsprechend liegt das Boca-Stadion im Arbeiter- und Armenviertel La Boca, das Riverplate-Stadion im nobleren Norden der Stadt. Das Ganze wirkt so, als ob Bayern München und Borussia oder Schalke in der gleichen Stadt spielen würden … leider beginnt die Fußballsaison erst nach unserer Weiterreise, ein Ticket für ein Spiel der beiden Rivalen hätten wir uns einiges kosten lassen.
Während die Maradonnas und Messis dieser Welt jedoch kommen und gehen, gibt es eine Konstante in der argentinischen Held*innen-Verehrung, die seit über 50 Jahren dauerpopulär ist: Mafalda! Wir gestehen, dass uns dieses antiautoritäre kleine Mädchen des Zeichners Quino (bürgerlich: Joaquín Salvador Lavado Tejón) vorab nicht bekannt war. Diese Ignoranz erklärt und entschuldigt eventuell unser Erstaunen, als wir erstmals in Viertel auf die Bank stießen, auf der eine lebensgroße Figur von Mafalda sitzt … und eine lange Schlange von Leuten geduldig wartet, bis sie neben der Kleinen Platz nehmen dürfen um ein gemeinsames Foto zu machen. Die Kleine lässt das sehr geduldig über sich ergehen, die Schlange wird nie wirklich kleiner und sie löste sich in den 14 Tagen unseres Aufenthalts hier nicht auf.
Es gibt kaum Geschäfte in den touristischen Hotspots, die keine Geschenkartikel mit Mafalda und ihren Freund*innen vertreiben und in den Buchläden liegen die Mafalda-Bücher oftmals in der ersten Reihe. In der spanischen Sprache hat Mafalda auch erste Erfolge zu verzeichnen: Mädchen, die nur von einen Mann, Kindern und einer schönen Küche träumen, werden heute als „Susanitas“ bezeichnet, das ist Mafaldas Freundin und familienpolitischer Gegenpol. Mafalda selbst könnte als Pippi Langstrumpf der Südhalbkugel durchgehen; allerdings eine, die sich auch mal politisch einbringt und z.B. den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in die Schranken wies, als einer eine italienische Abgeordnete sexistisch beleidigte. Leider ist Quino 2020 gestorben, so dass Trump dem Verdikt der kleinen Philosophin leider entgeht …
Da aller guten Dinge vier sind, wollen wir schließlich noch wie Blinde von der Farbe reden und eine weitere Eigenheit der Argentinier*innen nennen: der Mate-Tee. An allen Ecken, auf allen Flohmärkten werden die typischen Kalebassen (Gefäße) mit ihren „Bombillas“ (Trinkrohre mit Filter) angeboten. Getrunken wird dieses Nationalgetränk (ein Ding zwischen Tee und Kaffee) als Aufguss von heißem Wasser oder heißer Milch. Soll eher bitter schmecken und sehr gewöhnungsbedürftig sein. Es enthält aber entgegen spontanen Vorurteilen keinerlei Rauschmittel (außer dem vom Kaffee bekannten Koffein). Wer immer das ermittelt hat: angeblich trinken 80% der Argentinier*innen mindestens einmal die Woche einen Mate [Quelle]. Wir können nur bestätigen, dass hier viele Menschen mit entsprechenden Trinkgefäßen herumlaufen und das Zeug genussvoll schlürfen. Das – von den indigenen Völkern – übernommene Getränk heißt auch „Missions-Tee“ oder „Jesuiten-Tee“, da die Jesuiten sich als sehr effektive Ordensgemeinschaft bereits im frühen 17. Jahrhundert auf den Mate-Anbau spezialisierten und sich ein Handelsmonopol für ganz Südamerika sicherten (man kann der katholischen Kirche viel vorwerfen, aber fehlender Geschäftssinn gehört sicherlich nicht dazu).
Zum Schluss ein Tipp für alle europäischen Kaffeetrinker*innen: wer hier Kaffeepulver im Supermarkt kaufen will, wird auf zwei Hindernisse stoßen. Erstens ist der Kaffee relativ teuer, obwohl wir auf dem Kontinent des Kaffeeanbaus sind. Brasilianischer Kaffee aus dem Nachbarland ist sogar fast doppelt so teuer wie in Deutschland (um wirtschaftliche Zusammenhänge geht’s in späteren Blogs). Zweitens ist die Mehrheit der Angebote gesüßt, diese hier dominierende Variante nennt sich „Café torrado“, überhaupt sind sehr viele Produkte hier mit Zucker versetzt. Allerdings führt dies – ähnlich wie der hohe Konsum an Fleisch – nicht offensichtlich zu erhöhtem Übergewicht oder einer niedrigen Lebenserwartung. Wir bevorzugen trotzdem den regulär gerösten Kaffee, der hier unter „Café tostado molido“ (geröstet und gemahlen) läuft. Den Umstieg auf Mate (der deutlich günstiger ist und deutlich länger vorhält, weil man einen Tag lang von einem Aufguss zehren kann) haben wir noch nicht vollzogen …