[Bueu] 3.000 Kilometer entfernt und dennoch holt einen Deutschland mit einer einzigen Meldung wieder auf den harten heimischen Boden zurück. Während wir den Sonntag mit dem ersten echten Sabbatical-Projekt starten (Durchsehen von Hunderten von Fotos, um Jahrgänge zu bilden und später Fotobücher … ein nicht ganz emotionsfreies Unterfangen), startet in Brandenburg der Wahlsonntag zur Landtagswahl. Am Abend ist klar, was schon seit Monaten in der Luft liegt: über 40% der Menschen wählen populistisch, knapp 30% -Punkte davon rechtsextrem. Strukturell bestätigt Brandenburg, was schon in Sachsen und Thüringen offenbar wurde: gut 40% der Wähler*innen fühlen sich in dem demokratischen System nicht wirklich repräsentiert. Und ausgerechnet mit dem linkspopulistischen Teil dieser Unzufriedenen müssen nun die beiden ehemaligen Volksparteien SPD und CDU eine Koalition bilden, wenn sie sich nicht in einer Minderheitenregierung von #noAfD und Sahra’s Gurkentruppe abhängig machen wollen. Ein nicht zu lösendes Unterfangen, Woidke wird in der Wahlnacht gemerkt haben, was das für ein Pyrrhussieg war. Instabilität ist Wasser auf die Mühlen der Populisten und exakt das werden sie in Thüringen und Brandenburg auf Basis der Wahlergebnisse nutzen und zur Bundestagswahl zuspitzen. Echte Heimatgefühle kommen unter diese Bedingungen nicht auf.
So sehr die sozialen Medien und das Smartphone ein echtes Abschalten verhindern, die räumliche Entfernung wirkt am Ende doch auf ihre Art. Wir nehmen Tagesrucksack und Hund und sehen uns das Galicien unserer Ecke genauer an (eine Region, in der bei der letzten Wahl die extreme Rechte und extreme Linke eine Abfuhr erhalten haben; gestärkt gingen die Regionalpartei BNG sowie die Konservativen (PP) aus der Landtagswahl hervor). Die Landschaft der Halbinsel Morrazo ist vom Weinbau geprägt und einer Unmenge von privaten Obstgärten, in denen von Zitrusfrüchten über Feigen, Äpfel, Birnen und Kastanie alles im Angebot ist. Wir stehen vor unserem ersten Kiwi-Baum! Immer wenn man einen der vielen kleinen Bäche kreuzt fallen einem die Brombeersträucher und Pfefferminz-Teppiche auf, die sich im Umfeld des Wassers bilden. Es verfestigt sich der Eindruck einer sehr fruchtbaren Landschaft, die dem Menschen eine solide Lebensgrundlage bietet. Kein Wunder, dass die Menschen hier regional denken und wählen, eine schöne Ausprägung von Heimat.
Das wussten offenbar auch schon die Johanniter vor einem knappen Jahrtausend, die in der Gegend siedelten und eine kleine romanische Kirche errichteten, die bis heute erhalten ist (Igrexa de Santa Maria de Cela). Das seit knapp 800 Jahren relativ unveränderte Gebäude blickt weit über die Bucht und das Meer und strahlt eine wohltuende Ruhe aus. Unterhalb der Kirche liegt etwas versetzt der örtliche Friedhof, wo’s noch ruhiger ist. Der Friedhof steht für eine so völlig andere Bestattungskultur: Die Toten sind ähnlich wie in Italien und Teilen Frankreichs in sogenannten Kolumbarien verstaut, über- und nebeneinander. Man kann nur hoffen, dass sich die ehemaligen Nachbarn im Jenseits ebenso nah sein wollen, wie im Diesseits. Das Ganze wirkt dicht gedrängt und durch Mauern von der Umwelt und dem „echten Leben“ abgeschlossen. Kolumbarium war ursprünglich mal das Wort für Taubenschlag; was die Enge betrifft, nicht ganz unpassend. Zwischen den Hochregalen der Toten sieht man nur einige Frauen mittleren Alters. Das Totengedenken scheint eine weibliche Aufgabe zu sein (oder die Toten sind überwiegend männlich).
Auf dem Weg zurück gibt es auch im Reich der Lebenden genug zu entdecken: So hat man auch hier der Frage der Versorgung mit Brot in der Provinz gewidmet (siehe Beitrag #6: Baguette-Maschine) und ist auf eine praktische Lösung verfallen. In einigen Häusern findet sich neben dem klassischen Briefkasten ein „Brotkasten“, in den der herumfahrende Bäcker sein Brot versenken kann. Damit Post & Bäcker sich nicht vergreifen, ist der schmale Kasten mit „Cartas“, der etwas Größere mit „Pan“ gekennzeichnet. Wie schon Ludwig XVI und Marie-Antoinette am Ende ihres jeweiligen Lebens feststellen durften, spielt die Versorgung mit Brot im Volk eine entscheidende Bedeutung. Anders als 1789 lässt sich die Unzufriedenheit der „Massen“ im Jahr 2024 aber leider nicht mehr auf einfache Zusammenhänge herunterbrechen …