Nach einigen Wochen in Conil und einigen Wochen in der Sprachschule haben wir einiges über diesen Ort, die Leute in diesem Ort und uns selbst gelernt. Genau genommen reist man ja sowieso in die Ferne, um mehr über das Naheliegende zu erfahren: sich selbst. Das Erstaunlichste zuerst: unsere Ehe scheint bisher die unvermittelt erhöhte Intensität unseres Zusammenlebens (24/7) gut wegzustecken. Das war bei den entfremdenden Alltagsroutinen, der hohen Arbeitsintensität und dem oftmals aufs Organisatorische und die Kinder konzentrierte Alltagsleben nicht selbstverständlich. Auf eine gewisse Weise „entdeckt“ man sich und den Partner/ die Partnerin bei so einer langen Odyssee neu … bisher also keine negativen Überraschungen zu vermelden.
Man entdeckt auch das Deutsche in sich selbst. Und damit sind nicht die inzwischen regelmäßigen Treffen mit Deutschen am Strand, in der Sprachschule oder in den Bars gemeint. Das Deutsche schlägt ganz unvermittelt zu, wenn man hier im Ort beispielsweise den Blick hebt und sich über den Kabelsalat wundert, der vor, auf und neben jedem Haus zu beobachten ist. Hier werden die Strom- und Telekommunikationsleitungen oberirdisch und offensichtlich semiprofessionell verlegt und das in (zeitlichen wie räumlichen) Schichten, die sich über die Jahrzehnte zu beachtlichen Kabelbäumen im Wortsinn entwickeln. Da wird einem als deutscher Pedant (und Freund des TÜVs und deutscher Baustandards) ganz mulmig um den sonst wohligen Bauchansatz herum. Man sieht Brandlasten, Kabelbrüche und Eingriffe durch unbefugte Dritte konkret an jeder Ecke. Auf der anderen Seite kann man nur Respekt haben vor den befugten Dritten (Elektrikern?), die sich in diesem eher privat anmutenden Chaos zurechtfinden und neue Anschlüsse installieren, ohne dass es zum stadtweiten Blackout kommt …
Während die Gedanken so zwischen Sehnsucht nach dem TÜV und Respekt vor den Improvisationskünstlern (Elektrikern?) wandern, fällt der Blick auf den Boden und das Deutsche in mir meldet erneut sein stirnrunzelndes Erstaunen an: Der Ort Conil ist komplett versiegelt. Abgesehen von den Problemen, die sich daraus für Hundebesitzer (und in der Folge dann wieder für die Stadt in Gänze) ergeben, denkt man sofort an das zunehmende Problem des „Starkregens“, das für uns in Deutschland schon recht vertraut ist. Hier in Südspanien hat man zwar über Jahrhunderte die Dörfer und Städte so gebaut, dass sie gegen starken Wind (Mauern) und starke Sonne (gewundene Gassen; Innenhöfe in Form von Patios) gewappnet sind, über Regen scheint man sich aber deutlich weniger Gedanken gemacht zu haben. Der vollständig versiegelte Boden in einem Ort wie Conil, der zudem einen Hügel überbaut hat, verwandelt sich bei starken Regen zu einem Bachbett vom Feinsten. Keine standardisierten Gulyöffnungen, die das Wasser abführen. Keine Giebeldächer mit Regenrinnen, die das Wasser systematisch in die Kanalisation führen; die Flachdächer mit ihren Dachterrassen leiten das Wasser im Regelfall direkt auf die Straße bzw. in die Gassen. So kann sich das Regenwasser munter sammeln, anschwellen und mit Macht nach unten strömen … in und bei Valencia konnte Ende Oktober beobachtet werden, in was für Katastrophen das münden kann. Diese Weltregion ist – zumindest baulich – in keiner Weise auf Starkregen vorbereitet. Der Deutsche mit seiner trüben Regenaffinität sieht das mit einer dunklen Ahnung und geht dann kopfschüttelnd mit seinen Badesachen an den Strand von Conil und lässt sich die Novembersonne auf die Sorgenfalten scheinen.
Die Sonne ist auch so ein Thema, das den Deutschen in uns weckt. Wir denken beim Wort Sonne ja sofort an Solarpanel und vom einzelnen Bürger mit seinem „Balkonkraftwerke“ bis zum Solarbauern mit seinen Solarparks auf ehemaligen Ackerflächen haben wir in Deutschland auch im letzte Provinznest alles im Angebot. Und das bei 1.900 – 2.200 Sonnenstunden im Jahr (2023). Spanien hat dagegen über 3.000 Sonnenstunden, die sonnenreichste Stadt Málaga (mit 280 Sonnenstunden pro Monat) liegt auf unserer Höhe. Und dennoch: in diesem Städtchen Conil sieht man keine Solarpanele, weder private Installationen auf den Flachdächern noch gewerbliche Solarparks in der Umgebung (das war nördlich von Sevilla anders, dort finden sich wirklich riesige Solarparks in der sonnigen Pampa). Der fehlende Rückgriff auf Solarstrom ist auch deshalb so erstaunlich, weil hier im Sommer wie im Winter viel und gerne mit Strom geheizt bzw. klimatisiert wird.
Wie gesagt: Man erfährt im Ausland mindestens so viel über sich selbst wie über andere. Muss nicht immer gut sein. Gut ist aber die Erkenntnis, dass es immer auch anders geht.