[Baskenland/ Bilbao] Vom Norden aus Frankreich kommend fährt man an den klangvollen Orten Bayonne, Biarritz und Saint-Jean-de-Luz vorbei und die Hügel entwickeln sich linkerhand zu ordentlichen Bergen, im Hintergrund zunehmend überragt von Ausläufern der Pyrenäen, die als dunkle Schatten im Hintergrund ihre Gipfel in den zwingend vorhandenen Wolken verbergen. Die Straßen sind voller Wirtschaftsverkehr, die LKWs fahren mit Kennzeichen aus ganz Europa im stetigen Fluss in beide Richtungen. Die Autobahn pumpt wie eine Lebensader, wenn man die europäische Wirtschaft wirklich mal sehen und spüren will, dann ist das hier der Ort, wo der Puls wahrnehmbar schlägt.
Das Baskenland empfängt uns freundlich, das Wetter ist für die Biskaya eher stabil. Wir umfahren San Sebastian und schlagen unser Nachtlager in Bilbao auf, um genau zu sein: in einem Appartement am nordöstlichen Hang der Stadt, auf Höhe des Artxanda-Parkes direkt neben der Bergbahnstation. Spektakulärer Blick über die schön gelegene Stadt und direkte Anbindung in die Altstadt per Funikularra. In dieser lebhaften und jugendlich geprägten Stadt kann man ein paar Tage verbringen, nicht nur wegen des Guggenheim-Museums, das sicher viel zur Revitalisierung ausgedienter Hafenbereiche (von denen es stromabwärts noch viele gibt) beigetragen hat. Wir bleiben zwei Tage und kommen um das Guggenheim nicht herum. Es lohn in jedem Fall, auch wenn es Teile gibt, die selbstreferenziell wirken (wie das Werk „The Salomon R. Guggenheim“ von Richard Hamilton).
Wer eine revolutionäre Grundstimmung oder offenen Separatismus wie in Katalonien erwartet, wird enttäuscht sein. In den Straßen auch außerhalb der touristischen Zentren finden sich nur vage Andeutungen des alten ETA-Kampfes um Unabhängigkeit. Mal hängt müde ein Handtuch mit der Baskischen Flagge „Ikurrina“ aus einem Fenster, mal klebt ein alter Aufkleber an einem Mülleimer, der ultimativ festhält: „This is not Spain nor France – Freedom for the Basque Country“. Warum das auf Englisch erfolgt, bleibt offen … Viel dominanter sind dagegen die Spuren eines anderen Kampfes: Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und Palästina. Hier finden sich eine Vielzahl von Aufklebern und Graffiti in baskischer und englischer Sprache, die den Zionismus verdammen, zum Boykott Israels aufrufen und Freiheit für Palästina fordern. Die Flagge, die – neben der Flagge des lokalen Fußballvereins – im Spätsommer 2024 am häufigsten von den Bürger*innen Bilbaos aus den Fenstern gehängt wird, ist die Flagge Palästinas. Es ist erstaunlich, wie stark dieser vermeintlich ferne Konflikt in jeder Ecke der Welt emotionalisiert und zur Positionierung zwingt.
Ansonsten muss man sich sehr an den Buchstaben „X“ gewöhnen, der in unserer eigenen Sprache ja ein eher bescheidenes Dasein fristet. Im Baskischen geht fast nix ohne X, es prangt an Banken, Bussen … sogar die „Antifaxista“ kommen nicht ohne aus. Ein weiteres Markenzeichen des Baskischen scheint durchaus schlechtes Wetter zu sein. Das können wir zwar mangels Regen nicht bezeugen, aber im Guggenheim fanden sich deutliche Hinweise auf eine regnerische Grundstimmung in der Stadt: wir sahen erstmals in unserem Leben einen abschließbaren Regenschirmständer, der 50 – 60 Besucher*innen Sicherheit bieten kann, dass sie trocken aus dem Museum und nach Hause kommen.
Eine andere technische Errungenschaft hat uns etwas mehr überzeugt und hatte auch einen ganz praktischen Nutzen: in Getxo (einem Vorort von Bilbao an der Mündung zum Meer) gibt es die älteste Schwebefähre der Welt. Seit 1893 schwebt tatsächlich eine Fähre ohne jeden Kontakt zum Wasser über den Fluss Nervión und bringt Autos wie Menschen und Tiere von einem Ufer zum anderen. Die 6 Millionen Reisenden pro Jahr lassen sich nur mit dem menschlichen Spieltrieb erklären, dem wir auch erlegen sind: wir sind einen Umweg gefahren, um die gewöhnliche (und kostenlose) Brücke zu vermeiden und die Fähre zu nutzen. Wie Karusselfahren für Erwachsene, nur viel kürzer. Schwachsinn, aber hat Spaß gemacht!
Während wir Bilbao hinter uns lassen, kommt die Frage nach der Hauptstadt des Baskenlandes auf: Offenbar eine beliebte Frage in Kreuzworträtseln. Es ist nicht Bilbao und nicht San Sebastian … offenbar gab es im Streit der Platzhirsche einen lachenden Dritten im Hinterland: Vitoria-Gasteiz.