Gedanken Sehenswürdigkeiten Unterwegs

#87| Das Höhlengleichnis eigener Art …

Die berühmten Wasserbecken von Semuc Champey

[Lanquín/ Guatemala] So, es ist Zeit, sich über menschliche Schwächen zu mokieren; zur Abwechslung mal die eigenen. Ort der Offenbarung: die angeblich schönste Ecke Guatemalas, Semuc Champey. Hier gibt es faszinierende Naturbecken aus Travertin, die von einem unter ihnen hindurchrauschenden Fluss gespeist werden und mit türkisfarbenem Wasser gefüllt sind. Das lässt die Touristenherzen bei den hier vorherrschenden Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit höher schlagen. Man bucht in der Regel eine Tagestour von Lanquín, schon da hätten wir uns fragen sollen, warum eine Tagestour? Man will ja nur hin, rein und wieder raus. Die Antwort lautet: das Tourenpaket umfasst den Besuch einer Grotte  sowie „River Tubing“ und Mittagessen. Okay, erscheint zumutbar.

Die elenden Wassertreter

Weit gefehlt! Der Killer steckt im Wort Grotte bzw. konkreter den „K’anba River Caves“.  Schon bei der Anfahrt müssen wir an einer dubiosen Kurve anhalten und uns am staubigen Straßenrand Wasserschuhe ausleihen. Auf die Frage „wozu?“ folgt die rätselhafte Antwort: „No Flip-Flops“, womit sich eine weitere Diskussion als sinnlos erweist. Also stochere ich in dem überschaubaren Angebot an 70er-Jahre-Schlappen und suche die Seltenheit in Größe 48. Da gibt’s nur ein Paar, hässlich jenseits aller Worte und zudem noch feucht von der vorherigen Benutzung (ich tröste mich mit dem Gedanken, dass das auch die Restfeuchte einer umfassenden Reinigungsprozedur sein könnte). Mit den Schlappen im Gepäck geht’s weiter Richtung Semuc Champey und am Fluss dann Ausstieg. Kurzer Marsch zu einer Hütte, dort müssen sich alle in Badekleidung werfen und die geliehenen „watershoes“ überziehen. Ich starre auf meine hässlichen Schlappen und ahne erste Erosionserscheinungen in meinem würdevollen Auftritt. Als jedem von uns eine Kerze („take care! Only one hour light“) in die Hand gedrückt wird, frage ich mich, ob wir nicht lieber direkt und ohne das hässliche Fußpilzbiotop an meinen Füßen zu den Naturbecken fahren könnten.

Und jetzt setzt das ein, was ich als menschliche Schwäche begreife und erfahren muss: wie die Lämmer folgen wir unseren beiden Führern in eine dunkle Grotte voll mit tiefem, schwarzem, unbekanntem Gewässer. Kein zementierter Fußboden, keine elektrische Beleuchtung, kein Notausgang…Schon nach ein paar Metern ist nichts mehr zu erkennen und die ersten Fledermäuse streifen an uns vorbei. Wir waten unbeholfen durch das Wasser, da unklar ist, ob es nicht gleich tiefer wird oder man auf etwas Schleimiges tritt. Unser Tourguide hält plötzlich inne, erzählt Unverständliches von Mutter Erde und bemalt unsere Gesichter mit Kerzenruß. Gut, dass ich mich selbst nicht sehen kann, die anderen sehen bescheuert aus! Aus irgendeinem Grund sind wir die einzige Gruppe, die sich diesem Grottenritual unterziehen muss. Es geht weiter und wir sinken immer tiefer – krampfhaft die brennende Kerze in der hochgestreckten Hand – ins Wasser, bis nur noch „Schwimmen“ angesagt ist (schwimm mal mit einem glitschigen Orientierungsseil in der einen und einer Kerze in der anderen Hand). Das Kopfkino spielt mir üble Streiche, indem alle Filmszenen hochkommen, in denen scheußliche Wesen in dunklen Höhlen aus dem Wasser steigen. Wasser, das wir gerade völlig orientierungslos durchpflügen. Wenn hier irgendetwas schlafen sollte, dann ist es jetzt wach.

Was man halt so macht …

Die Grotten von K’anba, die wir gerade durchschwimmen, sind ein kilometerlanges Höhlensystem, das von Quellwasser durchflossen wird. Wer bei Quellwasser an helles, klares Wasser denkt, macht sich falsche Vorstellungen von der Brühe, in der wir stecken. Das Wasser hier wirkt trübe, könnte auch an den gefühlt Hunderten Höhlenbesuchern liegen, die hier täglich ein ähnliches Martyrium durchleiden. Manchmal schwimmt was Dunkles auf der Oberfläche an uns vorbei, wir haben erst später erfahren, was das ist (Cliffhanger!). In jedem Fall wird es immer beschwerlicher und tiefer und dunkler. Nach 30 Minuten frage ich mich ernsthaft, was ich hier mache und warum wir für das, was wir hier machen, auch noch bezahlen. Ich wollte nie in meinem Leben in eine Wasserhöhle. Auch hier Kopfkino: ich fand als jugendlicher Leser des Werks „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“  den Tod von Indianer Joe in einem Grottensystem traumatisierend und so richtig überwunden habe ich diese Ängste offensichtlich noch nicht. Während ich also an Indianer Joe denke, ziehe ich mich abwechselnd watend und schwimmend mit der Linken an einer Führungsschnur nach vorne (mehr oder weniger) und mit der Rechten halte ich die Kerze über Wasser. Jeder Versuch, sich würdevoll zu bewegen und Haltung zu bewahren, liegt Kilometer zurück, es geht um‘s nackte Überleben.

Unser Guide treibt uns – unter gelegentlichem Ausstoßen eigenartiger Urlaute, die offenbar für Stimmung sorgen sollen – einem Wasserfall entgegen, den wir entweder a) durch Erklimmen einer glitschigen Metalleiter links umgehen oder b) den wir direkt an einem Seil hoch- bzw. durchklettern können. Natürlich hat sich das eigene Ego bereits für den heldenhaften Gang b) durch den Wasserfall entschieden, während das Unterbewusstsein noch die Risiken und Kraftressourcen abwägt und eher zu a) tendiert. Da hänge ich aber schon wie ein Waschlappen im herunterstürzenden Wasser und ziehe meine 90 Kilogramm in verzweifelter Anstrengung mit Hilfe der Knoten im Seil nach oben. Der Rest der Gruppe schaut sich das an und entscheidet sich dann für a) die Leiter. Weicheier!

Das Ganze wiederholt sich nach weiteren strapaziösen und zunehmend eisigen Tauch-Rutsch-Kletter-Schwimm-Gängen in der Tiefe des Grottensystems an einem Wasserloch unter einem eigenen Höhlengewölbe. Hier komme ich mit dem Guide als erster an und wir entdecken im Kerzenlicht einen sehr schwarzen Schatten, der sich leider bewegt. „A beautiful spider“ ist sein Kommentar und er verscheucht das vermutlich blinde Wesen mit ein paar Wasserspritzern (wohin??). Dann zeigt er uns, wie man einen Wandvorsprung der kleinen End-Grotte erklettert und aus etwa 2 Metern Höhe in das dortige sehr dunkle Becken springt. Macht er, während ich noch damit beschäftigt bin, den ungefähren Laufweg der doch recht großen Spinne nachzuvollziehen, und fordert uns dann auf, den Sprung zu wagen. Auch hier muss mein Ego ganz offenbar irgendjemandem in der Höhle etwas beweisen (oder ist es mein Alter, dem ich keine Chance zum Schwächeln geben will?), während mein Unterbewusstsein ziemlich klar zu der Erkenntnis kommt, dass die Spinne einen ähnlichen Laufweg genommen hat wie der Tourguide eben …

Egal, ich ziehe mich eher unbeholfen den nassen Felsen hoch, zweimal unwürdig unterstützt vom Guide, hocke dann oben und hoffe, dass all die dunklen Schatten um mich herum nicht das sind, wonach sie aussehen, und…springe -! Ich habe mir mit dem Sprung eine Portion Wasser in meine rechte Nebenhöhle gepumpt, die mich noch zwei Tage beschäftigen wird, aber alles ist gut, ich fühle mich 10 bis 20 Jahre jünger. Meine Gruppe entschließt sich wieder feige, es bei meinem Sprung zu belassen, und wir treten den Rückweg an. Auf diesem gibt es nur zwei Lowlights, die sich von denen des Hinwegs unterscheiden: ich sehe noch zweimal die schwarzen Spinnen, die handtellergroß sind. Einmal am Felsen auf der Flucht und einmal im Wasser (offenbar leben die hier ein nicht ganz ungefährliches Spinnenleben). Jetzt erklärt sich auch der dunkle Fleck auf dem Wasser von vorhin …

Der eigentliche Tiefpunkt der Tour ist allerdings der Moment, als sich der Tourguide in eine wirklich enge, horizontal verlaufende, spitzsteinige Felsspalte setzt, durch die Wassermassen herunterrauschen. Er klemmt seinen Körper fest zwischen die Felsen und legte seinen rechten Oberschenkel quer zum Wasserlauf in die Öffnung. Dann fordert er uns auf, uns auf seinen Oberschenkel zu setzen, den Oberkörper durch den Spalt zu zwängen und die Füße in den schwarzen Abgrund baumeln zu lassen, die Hände vor der Brust zu kreuzen und sich fallen zu lassen. Niemals (!) hätte ich das mit Überlegung oder bei ausreichender Vorwarnung gemacht. Niemals. Es geht einfach eng nach unten ins schwarze Nichts – das ist der Stoff, aus dem fötale bis fetale Alpträume gemacht sind. Aber da bin ich dann schon auf seinem Oberschenkel und Sekunden später abgerutscht und im völligen Schwarz des Wassers in der tieferen beengten Höhle versunken. Ab hier will ich nur noch weg, raus, ins Licht. Kerze ist hier leider nicht und erst mit den anderen und dem nachfolgenden Tourguide kommt wieder Licht ins unterirdische Dunkel. Der Rest ist Flucht und möglichst schnelles Zurückkehren ans Licht und ins Leben. So muss sich Indianer Joe gefühlt haben, als er das Licht am Tor der Höhle aus der Ferne sah. Unsere Höhle war glücklicherweise nicht verschlossen und selten habe ich das schlichte Tageslicht so genossen wie bei dieser Wiedergeburt am Höhlenausgang.

Schon schön hier …

Das Tubing und die Kalkbecken war Kinderkram dagegen, lediglich die vermeintliche „Rutsche“ („slide“) über holprige Kalkwülste zwischen zwei Travertinbassins unterschiedlicher Höhe, die mir – und den anderen – fast das Steißbein gebrochen hätte, war noch der Rede wert. Auch hier gilt: spätestens, nachdem das erste Opfer die schmerzhafte Rutsche unter Absonderung von Schmerzenslauten bewältigt hatte, hätte man sich diesem Event entziehen müssen. Aber nein, das menschliche Schaf scheint bei geführten Touren einen mentalen Schalter umgelegt zu bekommen und sich in sein Schicksal zu fügen. Unfassbar im Nachhinein. Ich pflege noch Tage später meine Zerrungen in der Oberarm- und Brustmuskulatur, meine geflutete Nebenhöhle und meinen extrem schmerzenden Steiß. Lehre: mach nicht immer, was von Dir erwartet wird. Hüte Dich vor „K’anba“, und wenn du da schon reingehst, nimm die schwarzen Schatten ernst!