[Cusco/ Peru] Das heutige Peru umfasst knapp das Vierfache der Fläche Deutschlands, zu Hochzeiten der Inka umfasste deren Reich Peru und große Teile des heutigen Bolivien, Ecuador sowie Teile von Chile und Argentinien. Die Inka als Volk und Herrscher haben sich durch die spanische Eroberung und die Raubzüge ab 1532 unter Francisco Pizarro tief in das kollektive Gedächtnis des Westens eingebrannt, weil sich das Exotische der „Neuen Welt“ mit Gold- und Silberschätzen ungeahnter Größe verband (dazu gehört auch die Entdeckung des Silberbergs Potosí auf dem Gebiet des heutigen Bolivien). Die gewaltsame Eroberung, die Übernahme der Herrschaftsstrukturen, die oft tödliche „Missionierung“ der neuen, indigenen Untertanen sowie die Plünderung der Städte und Ländereien verliefen in Peru unter Pizarro fast identisch zu der Eroberung des Aztekenreichs wenige Jahre zuvor durch Hernán Cortés (1519).
Innerhalb weniger Jahre haben die Spanier die herrschende Elite der Inka vollständig entthront, die alte Hauptstadt Cusco vollständig geplündert und alle Repräsentations- und Sakralbauten der Inka in der Stadt zertört und mit Kirchen und eigenen Palästen überbaut. Als Hauptstadt des Vizekönigreichs wurde mit Lima eine völlig neue Stadt an der Küste aufgebaut. Die indigene Bevölkerung von ursprünglich 10 Millionen Menschen (Schätzungen von 1532) wurde durch Gewaltexzesse, Sklaverei und – dies schon seit 1520 vor der Ankunft der Spanier im Inkagebiet – aus Europa eingeschleppte Krankheiten innerhalb einer Generation um knapp 80% dezimiert, so dass bei der letzten Volkszählung im Vizekönigreich im Jahr 1791 nur noch etwas über 1 Millionen Menschen im ehemaligen Inka-Reich lebten.

Erst zwei Generationen nach der (fast) vollständigen Auslöschung der Inka-Kultur und -Religion sowie der fast vollständigen Auslöschung der indigenen Bevölkerung kam es zur verstärkten Dokumentation der untergegangenen Kultur durch spanische Chronisten und Mestizen wie etwa Inca Garcilaso de la Vega, der ,1539 geboren, aus einer der häufigen Verbindungen eines spanischen Konquistadors mit einer indigenen Vertreterin des alten Inka-Adels hervorgegangen war. Heute gibt es trotz des spanischen und katholischen Wütens gegen jeden Ausdruck der Inka-Kultur und -Religion noch immer genug erhaltende Zeugnisse und Artefakte der präkolumbianischen Zeit, die die Inka und ihre Vorgängerkulturen als Hochkulturen ausweisen. Die Peruaner*innen, mit denen wir gesprochen haben, sehen sich als katholisch und zugleich den Inka-Gottheiten zugewandt. Kleine Danksagungen und Opfergesten, etwa zu den „Apu“, den beschützenden Gipfeln der höchsten Berge, oder für „Pachamama“, sind im Alltag allgegenwärtig, so wie die drei ausgewählten Koka-Blätter, die unser Bergführer wie nebenbei aufgefächert und mit einem Stein beschwert auf die Lehne einer Bank legte, ehe wir weitergingen.. Peru und insbesondere Cusco können diesen Kulturen für ihr Erbe dankbar sein, das jedes Jahr Hundertausende Touristen anlockt (mit Deutschland unter den TOP 10).
Überrascht haben uns beim Besuch Perus die folgenden Erkenntnisse:
1.) Das Inka-Reich ist nur der Endpunkt einer tausendjährigen Kulturentwicklung sowohl im Küstenbereich als auch in der andinen Hochebene, wo verschiedene Hochkulturen aufeinander aufgebaut haben: dazu gehören die Chavin (1.200 vor bis ca. 200 nach Chr.), die Paracas, Pucara oder auch Nazca/Naska in der Zeit um 200 – 500 n.Chr sowie der Kulturkreis in Tiawanako südöstlich des Titcacasees und die Wari bis ca. 900 n.Chr. Unmittelbare „Vorgänger“ der Inka waren u.a. die Chimú und Chancay (ab ca. 900 n.Chr). Ab 1.200 n.Chr beginnt die Zeit der Inka (ursprünglich ein kleines Siedlungsgebiet um Cusco herum). Was wir heute am Erbe der Inka bewundern, die hochentwickelte Handwerkskünste im Bereich Textil, Gold-/ Silberarbeiten, Steinmetz- und Architekturleistungen, die komplexen Siedlungs- und Straßenstrukturen, die hocheffizienten Bewässerungssysteme sind größtenteils schon weit früher in den Vorgängerkulturen nachweisbar. Die Leistung der Inka besteht in der Perfektionierung vorgefundener Techniken, im Aufbau eines weitläufigen Herrschaftsbereiches durch Eroberung, Konsolidierung und Schaffung eines Straßennetzes und Versorgungssystems (inklusive Einführung einer einheitlichen Sprache, des Quechua).







2.) Die eigentliche Blüte der Inka-Zeit liegt in dem Jahrhundert unmittelbar vor der Eroberung durch die Spanier: allgemein spricht man in der prekolumbianischen Geschichtsschreibung vom „Late Horizon“ von 1438 – 1532 als der eigentlichen Inka-Zeit. Aus dieser Zeit datieren die meisten bekannten Inka-Bauten. Von den Inka-Herrschern sind demnach insbesondere der 9. Inka (Pachacutec) sowie sein Sohn (10. Inka „Tupac Inca Yupanqui“) und sein Enkel (11. Inka „Huayna Capac“) relevant. Diese drei Inka-Herrscher überspannen die Jahre 1438 – 1525 und bringen das Reich zu seiner größten Ausdehnung (von Quito bis Santiago de Chile); die Söhne von Huayna Capac lieferten sich dann einen bluten Bürgerkrieg, den sich die Spanier bei der Eroberung zu Nutze machen konnten: der eine Bruder Huascar war kurzzeitig der 12. Inka, wurde aber von seinem Bruder Atahualpa besiegt (1532). Viel Zeit blieb Atahualpa als 13. Inka nicht: er wurde 1532 von Pizarro überwältigt und wenig später hingerichtet. Viel Mitleid muss man mit Atahualpa nicht haben, er konnte in Bezug auf die praktizierte Gewalttätigkeit problemlos mit der Gewaltanwendung der Spanier und Pizarros mithalten.
3.) Die 10 Millionen Inka wurden nicht von nur 200 verwegenen Männern des Francisco Pizarro heldenhaft besiegt, sondern in einer Kombination aus Krankheiten (insbesondere den von den Konquistadoren aus Europa mitgebrachten Pocken, die schon vor der Ankunft von Pizarros Männer in der nicht immunen indigenen Bevölkerung Opfer forderten), überlegener Waffentechnik und insbesondere der Waffenhilfe anderer indigener Völker. Die Inka hatten sich in den Jahren ihrer Herrschaft nicht nur Freunde gemacht, so dass sich ein Teil der von ihnen beherrschten Völker nur zu gerne mit den Spaniern verbündete und bei der Eroberung des Inkareiches behilflich war. So waren die Völker der Canari und Chachapoyas von den Inka gewaltsam nach Cusco verschleppt worden und rächten sich durch Kollaboration mit den Spaniern. Diese dankten ihnen die Mithilfe durch herausgehobene Funktionen in Cusco, wie etwa diejenige der der Organisation und Sicherung des jährlichen Corpus Christi-Umzugs in Cusco ab 1572.



4.) Das „Erbe der Inka“ ist viel lebendiger, als man nach der völligen Vernichtung vor 500 Jahren annehmen würde. Es wird heute in den Kerngebieten des alten Reichs noch immer (bzw. wieder verstärkt) Quechua und auch Aymara (eine Kultur im bolivianischen Altiplano) gesprochen. Die naturnahen Elemente der alten Religion (insbesondere um die Erdmutter „Pachamama“) haben sich in der Breite erhalten und erscheinen problemlos vereinbar mit dem hier praktizierten Katholizismus. Auch der moderne „Indigenismus“ speist sich teilweise aus der selbstbewussten Rückbesinnung auf den Kampf der „letzten Inka“ gegen die spanische Herrschaft. Diese Inka-Renaissance umfasst den Inka „Manco Capac II“ und seine drei Söhne (als letzter wurde „Tupac Amaru“ 1572 in Cusco von den Spaniern hingerichtet). 300 Jahre später taucht „Tupac Amaru II“ in Cusco auf und führt 1780 eine Widerstandsbewegung gegen die Spanier an: er wird zwar bereits 1781 auf dem Hauptplatz von Cusco von den Spaniern gevierteilt, dadurch aber zum Volkshelden und ersten modernen Freiheitskämpfer Perus, auf den sich auch noch Widerstandsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts berufen haben (etwa das marxistische Tupac Amaru Revolutionary Movement 1983) .