[Cusco] Wir verbringen fast vier Wochen in Cusco, weil wir unsere Reisepläne in Bezug auf Lima und den Norden Perus anpassen – sprich: einstampfen – mussten. Der Grund dafür ist die instabile Sicherheitslage, die spätestens mit der Verhängung des Ausnahmezustands in Lima und angrenzenden Provinzen Mitte März 2025 nochmal ins Bewusstsein gerückt wurde. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand nach dem Mord am Musiker Paul Flores, von dem 5.500,- USD Schutzgeld erpresst werden sollten, die er und seine Band offenbar nicht zahlen wollten. Zudem lag die Zahl der Morde in Peru im ersten Quartal 2025 mit 450 Fällen überdurchschnittlich hoch.

Peru wird seit Längerem von einer landesweiten Welle sogenannter „Express-Entführungen“ heimgesucht, vor denen auch Schulkinder nicht sicher sind. Als wir in Cusco mit einem jungen Jura-Studenten ins Gespräch kamen, erzählte er beiläufig, dass einer seiner ehemaligen Mitschüler im vergangenen Herbst entführt worden sei und die Familie bis heute keine Kenntnis darüber hat, wie es ihm geht und wo er ist. Schutzgelderpressungen von organisierten Banden machen weder vor Schulen noch vor Busfahrern, Ladenbesitzern und Geschäftsleuten halt, wie die FAZ Ende April 2025 berichtet.
Wir waren bereits vor unserer Abreise nach Lateinamerika von einem Freund mit peruanischer Verwandtschaft gewarnt worden, an Busbahnhöfen in Taxis zu steigen. Als Warnung diente der konkrete Fall des Schwagers, der (als Peruaner) Opfer einer Entführung wurde: kaum war das Taxi um die Ecke, stiegen zwei Männer ein und fuhren mit ihm in eine Garage. Dort wurde er festgehalten und gezwungen, die PINs seiner Kreditkarten anzugeben, so dass sein Konto geräumt werden konnte. Er wurde nach Plünderung seiner Konten zwei Tagen später einige Autostunden entfernt in der Wildnis ausgesetzt und war froh, überlebt zu haben. Ob eine Anzeige bei der Polizei erstattet wurde, blieb unklar. Diese konkrete Geschichte führte dazu, dass wir von Beginn an und bis heute nicht auf die vielen Taxis in Lateinamerika zurückgreifen, sondern uns (trotz aller Bedenken gegen deren Geschäftsmodell) auf registrierte Dienste wie uber oder inDrive verlassen.
Es kommt hinzu, dass in den Gesprächen vor Ort auch eine Skepsis gegenüber der Polizei durchschimmert, die nicht frei von Korruption zu sein scheint. Bereits in Bolivien konnten wir persönlich als Fahrgäste im Auto sitzend erfahren, wie unser Fahrer an einer Mautstelle seinen Führerschein dem Mautbeamten vorzeigen musste (auf der Hin- und Rückfahrt!), der ihn einbehielt und den Fahrer an die Seite winkte (mit den mürrischen Worten: „À la derecha…“). Unser Fahrer musste rausfahren, zum Büro zurücklaufen und dort dem staatlichen (!) Vertreter der Straßenverkehrsbehörde einige Scheine in die Hand drücken, bevor er seinen Führerschein zurückbekam und wir die Fahrt fortsetzen konnten. In Peru scheinen die Dinge nicht anders zu sein.
Im Ergebnis sieht man hier viele private Sicherheitsdienste und privates Sicherheitspersonal, das vor den Geschäften und Banken steht. Auch die größeren Unternehmen scheinen sich eher auf ihre eigenen Sicherheitsdienste zu verlassen als auf die Polizei. So wurden am 4. Mai 2025 in der nordperuanischen Provinz Pataz die Leichen von 13 Personen gefunden, die gefoltert und per Kopfschuss hingerichtet worden waren. Es handelte sich um private Sicherheitsleute einer Minengesellschaft, die gegen illegale Minenarbeiter vorgehen wollten. Die Polizei wurde in diesem Konflikt offenbar gar nicht erst bemüht, der Innenminister bestritt tagelang das Verschwinden der Opfer und die Toten wurden nicht von Beschäftigten staatlicher Stellen, sondern von „lokalen Selbstverteidigungspatrouillen“ gefunden.
Diese Entführungen von Minenarbeitern sowie der blutige Kampf um Minenzugänge und lokale Vorherrschaft sind keine Einzelfälle, sondern nehmen seit Jahren insbesondere im Nordwesten Perus drastisch zu. Die peruanische Politik steht der Entwicklung – ähnlich wie Ecuador in Bezug auf die Drogenbanden – mehr oder weniger hilflos gegenüber und reagiert mit temporären Ausgangssperren und lokalen Ausnahmezuständen.

Die peruanische Politik: unsere Gesprächspartner*innen vor Ort sahen keinen großen Unterschied zwischen den Parteien, Akteur*innen und Kandidat*innen für die kommenden Wahlen (April 2026) und hatten wenig Hoffnung auf eine positive Veränderung. Wir hörten, wie Peruaner*innen im Gespräch verächtlich von einem „nido de ratas“ (Rattennest) sprachen und damit die gesamte politische Elite meinten. Sie bezeichneten das Wahlvolk als „schlechte Wähler*innen“, die Wahlversprechen glaubten. Das erscheint auch nachvollziehbar, wenn man sich alleine die Liste der Präsidentschaften der letzten 25 Jahre (seit Abtritt des Autokraten Fujimori 1990) anschaut: Fujimori selbst war 2007 wegen Korruption und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, bereits 2017 von einem (von der Fujimori-Tochter abhängigen) Nachfolger auf verfassungswidrige Weise begnadigt worden, der kurz darauf selbst wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste. In 25 Jahren hatte Peru 10 Präsident*innen, von denen sich seit 2016 keine/r mehr eine volle Legislatur im Amt halten konnte. Mehrere Präsidenten sind über Bestechungsaffären der brasilianischen Baufirma Odebrecht gestolpert (u.a. die Präsident*innen Alan Garcia, Alejandor Toledo, Ollanta Humala, Pedro Pablo Kuczynski). 2021 putschte dann der (gewählte!) – linke – Präsident Castillo gegen das eigene Parlament, scheiterte und sitzt seit Dezember 2022 in Haft. Seine Nachfolgerin und amtierende Präsidentin ist Dina Boluarte, die in kürzester Zeit bereits eine Korruptionsaffäre „Rolex-Gate“ hinter sich gebracht hat und für zwei „Massaker“ an politischen Protesten durch das peruanische Militär mitverantwortlich gemacht wird (insbesondere die Erschießung von 18 Protestierenden in Juliaca im Januar 2023). Das fehlende Vertrauen der Menschen in Peru in die Politik ist somit nachvollziehbar und macht keinen Unterschied zwischen links/rechts oder indigen/ nicht-indigen.

Im Ergebnis merkt man als Tourist zwar wenig von diesem Versagen staatlicher Strukturen, allerdings kann man den „Failed State“ an größeren Investitionsprojekten beobachten, wie etwa dem geplanten Flughafenneubau bei Cusco. Der innerstädtische Flughafen in Cusco soll seit 1978 durch einen internationalen Flughafen in der Umgebung (konkret: in der alten Inka-Stätte Chinchero) abgelöst werden. Konkrete Entscheidung zum Bau und Kauf/ Enteignung Grundstücke 2011. Verkündeter Baubeginn 2017, realer Baubeginn 2019. Weitere 6 Jahre später immerhin einige Rohbauten fürs Gebäude erkennbar (siehe Foto Stand Mai 2025), Start- und Landebahn sowie Tower befinden sich mal wieder in der Ausschreibung …