[Kritzendorf/ Donau] Gegen Ende unserer ersten Etappe wiederholen sich die Dinge teilweise, im konkreten Fall zumindest in baustatischer Hinsicht. So wie wir die auf Stelzen gebauten „Hórreo“ (siehe Blog-Beitrag #9) in Asturien und Galizien beschrieben haben, so stehen wir erneut vor Stelzenhäusern an der Donau bei Wien. Diesmal geht es nicht um Sicherung der Ernte vor erdnahen Getier sondern um die Sicherung von Leib und Leben gegen die Fluten der Donau. Wir haben uns für ein paar Tage in Kritzendorf bei Wien niedergelassen. Hier stehen die Reste des Strombades Kritzendorf (in der Hochzeit der stadtnahen Sommerfrische vor und nach dem zweiten Weltkrieg auch gerne „Kritz-les-bains“ oder „Riviera an der Donau“ genannt), das als eines der ersten Freibäder Österreichs gilt. Der offizielle Badebetrieb wurde 1977 eingestellt, heute werden hauptsächlich die knapp 400 historischen „Hütten“ genutzt, die auf Stelzen in die Aue gebaut wurden. Auf Stelzen, weil der Donauknick, der sich hier befindet, regelmäßig Hochwasser mit sich bringt.
Damit wäre auch das Stichwort benannt, mit dem Kritzendorf zuletzt in den Nachrichten war: vor knapp 3 Monaten stand hier alles unter Wasser, Österreich erlebte wie Süddeutschland erneute eine „Jahrhunderthochwasser“, die auch an Wien nicht spurlos vorbeiging. In Kritzendorf stieg der Pegel auf stolze 7,72 Meter (Normalpegel liegt bei etwa 2,50 Meter). Der Donauknick und die Auen sind besonders anfällig für Überflutungen, da das Wasser mit sehr hoher Fließgeschwindigkeit in die Kurve geht, sich dort staut und in den Knick (sprich: in die Auen und das Siedlungsgebiet der Stelzenhäuser) drückt und dort alles flutet. Der Hochwassereffekt ist leicht erklärt, schwerer verständlich ist die Tatsache, dass dort Menschen bauen und wohnen. Ein Grund könnte die Fiktion sein, die in der wiederkehrenden Rhetorik einer „Jahrhundertflut“ steckt: wenn es wirklich nur alle 100 Jahre zur Flutung kommt, dann lässt sich das für 2 bis 3 Generationen aushalten.
Allerdings spricht die Statistik (die in Österreich so leidenschaftlich gepflegt wird wie beim nördlichen Nachbarn) gegen die Annahme langjähriger Zyklen: 1899, 1954 sowie 2002 gab es „Jahrhundertfluten“ mit jeweils ca. 8,60 Metern Pegelständen, 11 Jahre später dann das „Jahrhunderthochwasser“ von 2013 mit 8,06 Metern und vor drei Monaten die „Jahrhundertflut“ in Süddeutschland und entlang der Donau mit Pegelhöchststand von knapp acht Metern in Kritzendorf. Die Botschaft an die Jahrhundertfluten-Glaubensgemeinschaft lautet physikalisch: je wärmer die Luft (Effekt der Klimaerwärmung), desto mehr Feuchtigkeit nimmt sie auf und desto mehr Regen fällt. Der Wechsel von Trockenheit auf der einen und Starkregen auf der anderen Seite erhöht die Chancen auf extreme Hochwasserlagen entlang der (zugebauten und eingefassten) Flüsse in Europa. Und was macht der Mensch mit dieser Erkenntnis? Anstatt die naheliegende Frage zu stellen, ob die Siedlung nicht verlegt und die Siedlungsfläche nicht renaturiert werden sollte, werden Forderungen nach höheren Stelzen und Bauhöhen erhoben. Offenbar lebt man so gerne flussnah, dass man sich lieber alle zehn Jahre fluten lässt als den Naturgewalten nachzugeben. Dabei müsste man der Natur offensichtlich mehr Luft zum Atmen bzw. mehr Fläche zum Fluten geben. Allerdings holt sich diese ihre Flächen so oder so, da mag sich die menschliche Unbelehrbarkeit und Uneinsichtigkeit hinter noch so hohen mentalen Mauern verkriechen. Auf eine gewisse Weise tröstlich; der Anblick der Natur und Häuser, die auch drei Monate nach der Flut noch von dem kalkgrauen Schlamm gezeichnet sind, ist jedoch eher traurig.