Es ist an der Zeit, eine erste zwischenmenschliche Bilanz zu ziehen. Immerhin sind wir jetzt fast vier Wochen hier in Conil in einer Sprachschule und jeden Tag mit anderen Sprachschüler*innen zusammen. Da der ganz überwiegende Teil aus Deutschland kommt (das Ergebnis einer Mischung aus romantischer deutscher Spaniensehnsucht und pragmatischer Nutzung des deutschen Bildungsgutscheins), bestehen auch keine lästigen Sprachbarrieren im wechselseitigen Austausch und im Kennenlernen.
Die zwischenmenschliche Bilanz lautet in einfacher Sprache: Das sind hier ganz interessante Leute! Man trifft zwar auf eine wilde Mischung an Persönlichkeiten und Hintergründen, aber alle fernreisenden Sprachschüler*innen zeichnen sich letztlich durch eine hohe Offenheit, ein großes Interesse an anderen Menschen und interessanten Lebenseinstellungen aus. Das dürfte nach unserer Einschätzung daran liegen, dass Menschen, die sich für einen Sprachkurs (in der Regel alleine) ins Ausland aufmachen, von vorneherein ein spezifisches „Sample“ der Grundgesamtheit aller Deutschen darstellen dürften. So verschieden die beruflichen Hintergründe sind (Yoga-Meister, Sicherheitsbeauftragte, Flugbegleiter*in, Techniker*in, Selbständige, Rentner*in, Sozialarbeiter*in, Programmierer*in, Gap-Year-Reisende, Richterin …) so gleich ist das das ausgeprägte Interesse aller an anderen Kulturen, anderen Perspektiven und anderen Menschen. Wirklich unsympathisch ist hier niemand, das ist eigentlich eine eher seltene Beobachtung bei Gruppen von mehr als 5 Menschen … allerdings muss man ehrlich bleiben und feststellen, dass es eine relativ klar umrissene Spezies an deutschen (männlichen) Golfspielertypen gibt, für die man ein bis zwei Einschränkungen auf der Sympathie- und Empathieskala formulieren könnte. Die Gruppe ist teilidentisch mit der eher lauten Schülergruppe (bewusst nicht gegendert), die immer am lautesten die falschesten Antworten in den Raum blöckt. Aber selbst diese Herdenmitglieder schließt man spätestens beim abendlichen Bier oder Vino blanco ins Herz, wenn man gemeinsam über die Unverständlichkeit spanischer Vergangenheitsformen (Indefinido!? Imperfecto!?) jammert.
Jenseits der Schule konnten wir auch eine Reihe von Deutschen kennen- und schätzen lernen, die sich hier häuslich niedergelassen haben. Genaugenommen „zweithäuslich“, da Conil – wie die spanischen Küsten insgesamt – über lange Jahre Zielort deutscher Immobilienkäufer ist. Der Trend scheint sich nach Corona verstärkt zu haben und viele pendeln in diversen Formen von Homeoffice und Telearbeit monatsweise zwischen Andalusien und Deutschland. Die Immobilien sind nicht billig, aber die Preise im Vergleich zu deutschen (Großstadt-) Preisen relativ günstig. Im Ergebnis gibt es eine wahrnehmbar große Gemeinde von Exildeutschen, die hier Immobilien erworben haben und entweder vor Ort geschäftlich tätig sind (Bio-Bäckerei, Yogastudio, Sprachschule, …) oder von hier aus über Wochen bzw. Monate hinweg jenseits der Hauptsaison arbeiten (und die Wohnung dann in der Hauptsaison vermieten). Es wirkt auf den ersten Blick wie eine beneidenswerte Option (für die man das nötige Kleingeld haben muss), auf den zweiten Blick bindet es einen dann doch auf Dauer an einen (schönen, aber dann doch auch sehr überschaubaren) Ort. Hinzu kommt wie so oft der Mengen- und „Malle“-Effekt: Für die lokale Bevölkerung ist der ausländische Druck auf den Immobilienmarkt Gift (wenn sie wie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Mieter*innen sind). Hinzu kommt der Effekt, dass es irgendwie eigenartig anmutet, wenn man gezielt nach Spanien fährt und Spanisch lernt und dann feststellt, dass die Mehrheit der Anwesenden eher Deutsch (und gar kein Spanisch) spricht … ab einem bestimmten Punkt fühlen sich die Inländer dann wie Ausländer.
Die wenigen lokalen Conilienser versichern zwar glaubhaft, dass sie mit „den Deutschen“ kein Problem haben. Es bleibt aber doch das Gefühl, dass man hier nicht nur als Konsument und Tourist Wirtschaftsfaktor ist und Gutes tut, sondern gleichzeitig auch Teil eines Problems ist. Seit wir in Spanien sind, sind wir in jeder Stadt auf aktuelle Protesthinweise gestoßen, die die Verknappung des Wohnraums durch Touristenappartements und temporäre Vermietungen zum Thema hatten. Das ist kein spezifisch deutsches Problem. Aber wir sind als Gruppe dann doch sehr präsent im schönen Spanien und damit am Ende sowohl als Nutzer*innen der Ferienwohnungen auch als Käufer*innen von Urlaubsdomizilen durchaus ein veritabler Teil des Problems.
Das Schöne an Conil ist die Tatsache, dass der Ort und die Region auch von den Spaniern selbst so stark nachgefragt sind, dass die spanischen Massen das deutsche Mäßchen wegdrücken. Im Herbst und Frühjahr scheint das etwas anders zu sein, da niemand so konsequent seinen Bildungsurlaub in Conil zu verbringen scheint wie der Deutsche im Allgemeinen und deutsche Sprachschüler*innen im Besonderen. Aber nochmal: Das macht den Typus hier nicht unsympathisch, aufdringlich oder laut …. die Menschen, die hier Erholung, Anregung und ein bisschen Spanischkenntnisse suchen, sind von einer sehr einnehmenden Sorte. Ein wichtiger Unterschied zu dem „Ballermann“-Völkchen, das als Teil einer touristischen Überforderung auf zunehmenden Widerstand stößt in Regionen wie den Balearen, den kanarischen Inseln oder auch in städtischen Hotspots wie Barcelona.
So weit ist es in Conil noch nicht. Den einzigen Protest, den wir hier erlebt haben, war der Protest der „Plataforma de afectados vivienda irregular Conil“, womit wir uns gleich als Airbnb-Nutzer (negativ) angesprochen fühlten. Wie unsere profunden Spanischkenntnisse nach etwas Überlegung dann jedoch offenbarten, ging es hier um ein anderes Problem vor Ort: Die Kommune geht in den letzten Jahren konsequenter als früher gegen ungenehmigte Schwarzbauten vor, „Vivienda Irregular“ sind privat errichtete Wohnungen und Häuser, die schlicht illegal sind und „zurückgebaut“ (sprich: abgerissen) werden. Nach Berichten von einheimischen Deutschen wird gerne versucht, diese Immobilien „günstig“ an unwissende Ausländer zu verkaufen, die offenbar so von der Sonne und dem Strand geblendet und vom örtlichen Tinto de Verano benommen sind, dass sie keinen Blick ins Grundbuch werfen. Es soll auch ein bis zwei deutsche „Opfer“ gegeben haben … man darf also gelegentlich auch Mitleid mit uns Deutschen haben.