[San Pedro la Laguna] Farbenfrohe, handgewebte Textilien sind ein hervorstechendes Merkmal Lateinamerikas mit sehr langen Traditionen, die weit in die prähispanischen Zeiten reichen. Ob Peru, Bolivien oder jetzt Guatemala, die Technik und Kunst der Textilherstellung sowie die „textilen Codes“, mit denen regionale Zugehörigkeit bzw. sozialer Status markiert werden, ist eine Wissenschaft für sich.
Als Tätigkeit ist das Weben in den genannten Ländern sehr präsent, wird größtenteils aber zu Hause ohne großen technischen Aufwand praktiziert. Während einiger Besuche in lokalen Textilkooperativen zum Beispiel in Peru konnten wir beobachten, wir mit natürlichen Mitteln und auf traditionelle Art ohne großartige Webrahmen o.ä. gewebt wird. In der Regel reichen ein paar Schnüre und Hölzer und viel Zeit und Geduld.
Um einen vertieften Blick auf diese wahnsinnig aufwändige und kompliziert erscheinende Tätigkeit werfen zu können, sind wir in San Pedro la Laguna am Atitlán-See mutig bei einer Frauen-Kooperative vorstellig geworden und haben uns zu einem Web-Lehrgang angemeldet. Die Kooperative besteht aus knapp 30 Frauen, die größtenteils alleinerziehend sind, von zu Hause aus arbeiten und gemeinsam ihre Produkte vermarkten.
Bei der Vorbereitung der eigentlichen Webtätigkeit konnten wir uns die Baumwolle im Rohzustand anschauen, die per Hand gereinigt und mit natürlichen Mitteln aufgehellt wird. Dann werden die Baumwoll-„Flocken“ Per Hand zu garn gewickelt, der später beim Weben immer mal reißt und dann einfach verknotet wird.


Die Kooperative hat über 100 Farben im Angebot, der Garn wird ausschließlich mit Naturprodukten gefärbt und die Unterschiedlichkeit und Intensität der Farben ist beeindruckend. Es ist erstaunlich, was so ohne Chemie möglich ist und was die Natur auf Lager hat.

Dann fängt der leichtere Teil des Webens an: man bzw. frau setzt uns vor eine Holzkonstruktion, die das Wickeln des Garnes in Form einer Acht ermöglicht. Vorher hatten wir uns das gewünschte Muster (d.h. die Zahl und Breite an farbigen Streifen) ausgesucht. Jetzt wurde entsprechend gewickelt: die Reihenfolge der Farben bestimmte später die Reihenfolge der Streifen, die Anzahl der Wicklungen bestimmt die Breite des Streifens. Der Faden muss relativ fest gespannt sein und die gewickelten Reihen werden im Holzgestänge stramm nach unten gedrückt.
Dann kommt der Teil, in dem eine erfahrende Frau dazugeholt wird, unsere gewickelten Achten aus dem Rahmen nimmt und in eine komplizierte Seilkonstruktion spannt (die Seile sind an der Wand verankert und der/die Webende wird als Gegengewicht zur Spannung „angeschnallt“. Unser Textilstück, das aktuell nur eine Ansammlung parallel verlaufender Fäden ist, wird Faden für Faden aufgehängt und eingespannt, für Laien nicht zu verstehen. Am Ende des Einspannens hat man einen kleinen Teppich prallel laufender Fäden, die oben und unten abgebunden sind.


Jetzt beginnt die eigentliche (und anstrengende) Arbeit des Webens, indem die Querfäden durchgeführt werden müssen. Die ersten Reihen macht die alte Dame noch, dann strahlt sie einen an, wünscht Glück und geht. Man wird dann in dieses Konstrukt aus Schnüren selber eingespannt und muss durch eine gerade Körperhaltung die Spannung in dem Gesamtkunstwerk vor sich aufrechterhalten. Gleichzeitig muss man mit der linken Hand den oberen Teil der Schnüre anheben, damit man mit der rechten das Schiffchen mit der Querschnur durchführen kann. Dabei darf keines der vielen Längsfäden übersehen oder ausgespart werden. Am Ende angekommen hat man EINE Reihe erfolgreich geschafft, muss den Faden nach festdrücken, mit einer Holz-Faden-Konstruktion, die wie ein Kamm durch die Längsfäden geht, Ordnung schaffen und dann die nächste Reihe von der anderen Seite aus angehen.

Es dauert nicht lange, da ist der Körper verkrampft, die Hände sind verkrampft und man fragt sich, was eigentlich an maschinell produzierten Textilien so schlimm ist. Es dauert ewig, bis der erste Zentimeter an Stoff gewebt ist, eine unendliche Anzahl von Fehlern werden gemacht, nur ein Teil davon können die Helferinnen an der Seite ausbügeln und immer wieder müsse sie einem zu Hand gehen, wenn man die Fadensuppe auseinanderziehen soll und das nur bedingt schafft. Wenn da nicht genug Raum zwischen den zwei Ebenen ist, dann kann das Schiff nur scheitern …

Nach drei Stunden habe ich ca. 4 cm Stoff geschafft und gebe auf. Eine der Frauen von der Kooperative übernimmt und führt mein textiles Erstlingswerk gekonnt und deutlich schneller zu Ende. Immerhin, es sieht gar nicht so schlecht aus und als Unterlage in einem Brotkorb ist es durchaus brauchbar (auch weil man da unten dann die Webfehler nicht sehen kann). Im Ergebnis merkt man, wie ungeheuer anspruchsvoll (und kunstvoll) diese Tätigkeit des Webens ist. Seitdem ich selbst schon an einfachsten Linien gescheitert bin, habe ich allergrößten Respekt vor den großflächigen Textilarbeiten, die komplexe Muster und Zeichnungen in mehreren Farben aufweisen. Und alles ohne Strom, Chemie und Maschinen.