[Mendoza/ Santiago de Chile] Wir benötigen zwei Anläufe, um von Mendoza in Argentinien nach Santiago in Chile zu wechseln. Beim ersten Versuch starten wir morgens um 11h und stecken bereits nach einer Stunde im Stau fest: Der Abzweig nach Chile ist wegen eines Erdrutsches im Gebirge gesperrt, zwei Polizisten stehen wacker bei 42 Grad Außentemperatur mitten auf der Straße und hindern gefühlt 100 Reisebusse und deutlich mehr LKWs an der Weiterfahrt. Gegen 13h sickert das Gerücht zwischen den Bussen durch, dass eine Öffnung der Passstraße nicht vor 19h erfolgen wird, es macht sich erster Unmut bis anschwellende Panik (mit Blick auf die tropfenden Klimaanlagen und bereits kaum mehr benutzbaren WCs) breit. Nach weiteren Stunden (und Verhandlungen) windet sich der erste Bus aus der langen Reihe und fährt zurück nach Mendoza. Unsere Reisegruppe erreicht den Ausgangspunkt ihrer Reise fünf Stunden nach Abfahrt. Wir suchen uns ein Hotel am Rande des Busbahnhofs, fallen angesichts der Hitze im Außenbereich und der auf Hochtouren laufenden Klimaanlage in einen Dämmerzustand bis in den Abend. Erst dann ist an einen erneuten Gang zum Busbahnhof zu denken, wo wir mühsam ein neues Ticket für den Folgetag erhalten.
Am Morgen darauf geht’s bereits um 7:37 h los, leider wird unser Bus nicht angezeigt und alle Offiziellen schütteln den Kopf, als sie die eigenartige Abfahrtszeit – handschriftlich auf das Ticket vom Vortag gekritzelt – sehen. Wir sind aber glücklicherweise nicht die Einzigen, die von Plattform 1 bis Plattform 37 streifen und jeden einfahrenden Bus in Augenschein nehmen. Nach einer Weile gibt es eine kleine 7:37er-Gruppe, die sich gegenseitig auf dem Laufenden hält; alles Ersatzfahrer*innen vom Vortag. Mit etwas Verspätung taucht dann tatsächlich unser Bus auf, die händisch ergänzten Fahrscheine werden – trotz meiner starken Zweifel im Vorfeld – anstandslos akzeptiert, Gepäck wird aufgeladen und wir haben einen Sitzplatz. Wir können unser Glück kaum glauben (es wird sich noch erheblich relativieren, aber für den Moment sind wir froh) und der Bus fährt tatsächlich ab. Bei Google wird der Pass immer noch als gesperrt geführt, aber am Bahnsteig geht die Info um, dass irgendein Teil irgendeiner Regierung die Straße soeben wieder freigegeben habe … spätestens hier hätten wir uns fragen müssen, was es bedeutet, wenn faktisch 24 Stunden lang der Verkehr aufläuft und sich staut (insbesondere die LKWs auf dieser wichtigen Verkehrsader zwischen Chile und Argentinien) und erst kurz vor unserer Abfahrt abfließen kann … die Antwort: eine erneute stundenlange Verzögerung.

Planmäßig hätten wir zwischen 14 und 15h in Santiago sein sollen. Um 18 Uhr waren wir aber überhaupt erst an der chilenischen Grenze. Dort ging dann bis 23h gar nichts mehr, weil der Zoll mit dem Rückstau heillos überfordert war. Hier wurde jeder Bus vollständig entleert, alle Passagiere mussten einzeln antreten und sich ausweisen und alle Gepäckstücke wurden ausgeladen, geprüft und wieder eingeladen. Weiterfahrt gegen 0:30h und Ankunft Santiago gegen 3:00h.
Fragt nicht nach Landschaftseindrücken: erst war es karg und flach, dann karg und bergig, die Zollstation liegt hoch, der Pass auf ca. 3.200 Höhenmeter. Über die spektakuläre Abfahrt vom Pass auf der chilenischen Seite kann ich angesichts tiefer Nachtschwärze nichts berichten. Es sind aber eine Menge Serpentinen, die der Bus mit – immer noch schnell erscheinenden – 30 bis 40 km/h schwungvoll nimmt. Das Gebirge auf argentinischer Seite – noch bei Tageslicht erlebt – war beeindruckend. Auch der ferne Blick auf den höchsten Berg (Nord- und Süd-) Amerikas, den Cerro Aconcagua (6.961 Meter über NN). Aber wenn Du über Stunden keine Bäume, keinen Strauch, keine Tiere und kein gar nix siehst, dann schwindet der Enthusiasmus. Der einzig spannende Blickfang war die alte Eisenbahntrasse, die über Stunden parallel zu uns auf der anderen Seite des Tales verlief, eine abenteuerliche Schmalspurbahn, die offenbar seit Jahrzehnten außer Betrieb ist und mit ihren kaputten Gleisen, Brücken und Strommasten das desolate Gefühl einer unwirtlichen Gegend verstärkte.

Desolat war auch die Stimmung im Bus, da vom ersten Moment an die Fernsehbildschirme ansprangen und ohne Unterlass absoluter Trash visuell auf einen herabrieselte. Weil die Monitore praktisch direkt vor einem im Blickfeld montiert sind, kann man auch bei maximaler Willenskraft nicht nicht hinschauen. Leider haben wir auf diese Weise 7 bis 8 Filme „konsumiert“. Wenigsten war der Ton auf ein Minimum gedimmt (aber eben nur ein Minimum!). Der eigentlich spannende Film lief aber nebenbei im Bus ab: es war die Geschichte einer zunehmenden Solidarisierung der Schicksalsgemeinschaft, die sich ohne eigenes Zutun knapp 20 Stunden entwickeln durfte. Am Ende bestellte einer der Busfahrer für uns sogar das Taxi (eines Freundes), das uns um 3 Uhr sicher vom Busbahnhof zur Wohnung in Santiago brachte. In Santiago verabschiedeten wir uns, als wären wir eine kleine Familie. Wäre es nicht so spät gewesen (und hätten sich nicht neue Ängste in den Vordergrund geschoben … 3h morgens am Busbahnhof in einer völlig verlassenen und fremden Stadt), dann wäre das rührender gewesen als jeder Hundefilm.