[Berlin] Nachdem wir die ersten Tage des neuen Jahres für (Routine-) Arztbesuche und letzte Einkäufe genutzt haben, bricht schneller als erwartet der letzte Tag vor unserer großen Abreise an. Es ist Mittwoch, der 8. Januar 2025, und die Zeit rinnt bzw. galoppiert wie immer vor Abfahrten irgendwie schneller, es wird hektischer und die „à faire“-Liste will nicht kleiner werden. Wir erleben wie bei der Übergabe unseres Hauses im September ein deutlich erhöhtes Stress-Level und fragen uns, ob das an uns oder den Umständen liegt. Einzelheiten und Tiefpunkte der wechselseitigen Kommunikation sollen hier ausgespart werden, aber ein Highlight soll der Nachwelt übermittelt werden, da es übergreifende Erkenntnisse zur Digitalität Berlins enthält.
Vor Abflug am Donnerstag ist in der Nacht neben vielen anderen Dingen noch ein „digitaler Behördengang“ zu erledigen: Unser VW Bus, der uns in den letzten Monaten so gute und zuverlässige Dienste auf der langen Fahrt durch Europa geleistet hat, steht seit dem späten Nachmittag mehr oder weniger gut geparkt und unter Inkaufnahme einiger Schrammen auf unserem Grundstück (nochmals „Sorry!“ an die Mieter unseres Hauses für die treckerartigen Spuren und Verwüstungen, die wir dabei im Garten hinterlassen haben). Jetzt steht die Online-Kfz-Abmeldung an. Eine digitale Dienstleistung, die in anderen Ländern vermutlich problemlos erbracht wird. Da wir uns aber nicht in anderen Ländern, sondern in Berlin befinden, lag schon die ganze Zeit eine hartnäckige Nervosität in der Luft, ob das alles am Ende wie geplant funktionieren wird.
Natürlich nicht.
Nach Eintritt in das digitale Portal der „Service-Stadt Berlin“ und nach Ansicht eines gut gelaunten Einführungsvideos, das mir versicherte, wie einfach und schnell die Online-Abmeldung vonstattengehen wird, landete ich bei dem Teil der Online-Abmeldung, der einen starken Offline-Charakter hat: ich muss im Kfz-Schein und auf dem Nummernschild wie bei Rubbellosen an der richtigen Stelle und mit dem richtigen Gefühl (Druck, Winkel, Tiefe) rubbeln. Während das beim Kfz-Schein nur fast schief gegangen wäre, war die Rubbel-Nummer mit dem Nummernschild ein Fiasko. In den erläuternden Bildern war von einer Folie die Rede, die man vorsichtig abziehen muss. Dann legt man (ganz einfach) unter dem Wappen mit etwas Rubbeln (oder Kratzen – da gibt’s zwei Versionen) den begehrten Code frei.
Den ersten Teil der Nacht suchte ich eine Folie, die schon längst nicht mehr da war. Später erfuhr ich, dass sich diese Folien im Laufe der Jahre durch Wetter & Waschanlagen schlicht auflösen. Danke dafür! Den zweiten Teil der Nacht kratzte ich am Berliner Wappen vorsichtig herum (in den Bildern war aus irgendeinem Grund das Wappen von Baden-Württemberg abgebildet, das natürlich auch an anderer Stelle des Siegels platziert war … ) bis ich erfolgreich das blanke Blech freigelegt hatte. Von einem Code oder auch nur dem Hauch eines Codes war nix zu sehen. So viel zur einfachen Online-Abmeldung.
Am nächsten Morgen bzw. wenige Stunden später (das war der Tag unseres Abflugs nach Lateinamerika!) stand ich um 7 Uhr als erster Bürger vor dem Kfz-Amt in der Jüterbogerstr. um a) festzustellen, dass die online genannten Öffnungszeiten heute mal ausnahmsweise nicht gelten und b) man mir heute ohne Termin nicht helfen könne und c) heute sicher kein Termin mehr zu haben sei (das konnte ich bestätigen; das einzige was in Berlin im Online-Bereich funktioniert, ist die Online-Terminvermittlung, die einem zuverlässig mitteilt, dass in den nächsten Wochen leider keine Termine frei sind). Die freundlichen Wachleute (drei an der Zahl) verwiesen mich an das örtliche Bürgeramt, wo ich um 8 Uhr zur Öffnung vor der Tür stand, leider nicht als erster Bürger, sondern mit ca. zwei Dutzend anderen schlecht gelaunt wirkenden Mitbürger*innen. Immerhin fügte sich meine aufkommende schlechte Laune hier gut ein. Auf die Frage der (wieder drei) Wachleute („Termin?“) konnte ich nur mit „nein“ und dem Verweis auf meine Notlage antworten. Immerhin durfte ich bei der „Information“ vorsprechen und wurde nach telefonischer Rückversicherung von einer freundlichen Dame darüber informiert, dass das Bürgeramt leider im Fall unvollständiger Kfz-Unterlagen (das waren sie jetzt, nachdem ich die Siegel auftragsgemäß zerkratzt hatte) nicht zuständig sei. Dafür sei das Kfz-Amt zuständig …
Ich musste mich geschlagen geben und ging nochmal in die Jüterboger Str., aber diesmal nicht zum Amt, sondern zu den vielen bunten Kfz-Dienstleistern, die zu jedem Problem nur „Kein Problem!“ sagen und die Hand aufhalten. Eine Kfz-Abmeldung wurde mir im ersten Schuppen erst für satte 150,-€ angeboten, am Ende meines Gangs konnte ich dann bei einem einigermaßen seriös wirkenden Makler („Wir machen alles für Sie!“) meine „unvollständig“ zerkratzten Unterlagen abgeben und 30,-€ abdrücken, die mir ohne Unterschrift auf der Rückseite einer Visitenkarte ohne Namen quittiert wurden. Ich konnte einfach nur hoffen, dass ich Unterlagen und Auto irgendwann wiedersehe. Auf dem Heimweg fragte ich mich, ob die Behörden nicht mehr Termine im Kfz- sowie Bürgeramt vergeben könnten, wenn sie weniger Sicherheitspersonal und mehr Fachmitarbeiter*innen einstellen würden, aber das war jetzt müßig (uns angesichts des Aggressionspotentials, das sich im Laufe der Behördengänge auch bei mir aufbaut, wahrscheinlich auch nicht sinnvoll).
Ich hatte in der Nacht zwei Stunden mit der Online-Abmeldung und morgens drei Stunden mit der Offline-Abmeldung verloren und jetzt wurde es langsam wirklich eng … unser Abflug stand in wenigen Stunden an und das Berliner Wetter schickte uns mit immer stärker werdenden Schneeregen einen Abschiedsgruß der besonderen Art. Immerhin verspürte ich nach den letzten Stunden und angesichts des Wetters keinerlei Trennungsschmerz von dieser Stadt …
Nachtrag: Zur Ehrenrettung der Jüterboger Str-Szene muss ich festhalten, dass die Kfz-Abmeldung für 30,-€ schnell und unkompliziert geklappt hat. Danke!