[Mancha] Wenn man die iberische Halbinsel durchquert, dann stößt man unweigerlich auf „La Mancha“, die gering besiedelte Region Zentralspaniens bzw. Kastiliens. Die Weitläufigkeit ist beeindruckend und bei der ersten Windmühle muss man unweigerlich an Don Quijote von Cervantes denken, dessen berühmtestes Werk ja „Don Quijote von der Mancha“ heißt. Die karge Landschaft gibt einem keinen Hinweis darauf, dass Cervantes hier den üppigen Stoff für seine Geschichte gefunden hat, die (laut Wikipedia) in „das berühmteste Buch der spanischen Literatur“ mündete, in den „ersten modernen Roman“ überhaupt. Allerdings versäumen es die (wenigen) Bewohner der Mancha nicht, auf den berühmten Ritter und seinen Knecht Sancho Panza hinzuweisen: hier hat jede zweite Bodega und jedes zweite Hotel Bezüge zu Cervantes und seinen Mannen im Namen. Zudem kann es passieren, dass an den verlassensten Stellen der Mancha plötzlich der Schatten des Sancho Panza an einem vorbeizieht, wie wir unweit von Villarrobledo in der Nähe unserer Bodega beobachten konnten…
Der Hauch von Trübnis, der Sancho Panza umweht, wehte uns auch in die Bodega hinterher, in der wir die endlosen Manchakilometer für eine Nacht unterbrachen. Erst dachten wir, das wird die einsamste Nacht im einsamsten Teil der Welt, aber beim Betreten der riesigen Gebäudeanlage stellten wir fest, dass das Restaurant gut gefüllt war. Später mussten wir auch feststellen, dass wir nicht die einzigen Hotelgäste waren. Wenn die Mancha uns mit einem Wort in Erinnerung bleiben wird, dann ist es „Pappwände!“. Die Bodega hatte viel Charme in ihrer altertümlichen Beschaffenheit, den rustikalen Möbeln, riesigen Hallen und alten Eichenbohlen, die die hohen Decken tragen. Wären da nicht die Wände gewesen, die eigentlich jede Funktion einer Wand entbehrten. Ohne je unseren chinesischen Zimmernachbarn und seine Frau zu Gesicht bekommen zu haben, durften wir eine Nacht und einen Morgen an allen ihren Gesprächen, Tonlagen, Verrichtungen und Badgeschäften akustisch teilhaben. Und das in einer Nähe und Unmittelbarkeit, dass man bei geschlossen Augen davon ausgehen musste, der Nachbar uriniert einem direkt über dem Kopf in den Topf … das morgendliche Bad der jungen Frau war dagegen eine akustische Freude, die nächtliche Analyse der chinesischen Sprache in ihren sehr hohen und hellen Klängen und abwechslungsreicher Dynamik eine Herausforderung, die den eigenen Geist so in Bewegung brachte, dass an Schlaf nicht zu denken war.
Wahrscheinlich tut man diesem Landstrich Unrecht, aber bei der übermüdeten Abfahrt war unsere Lust auf die Mancha und Sancho Panza auf den Tiefpunkt gesunken und wir sahen mit Freude, dass auf der weiteren Reise nach Osten die Landschaft wieder abwechslungsreicher wurde. Die Wände der Häuser wirkten auch immer massiver. Statt der Mühlen von Cervantes tauchten immer mehr moderne Windräder auf (eine absolut sinnhafte Nutzung der weiten Flächen, die dem Wind hier keinerlei Widerstand leisten). Adé Don Quijote, Sancho Panza und Rosinante …