Sehenswürdigkeiten Unterwegs

#57 | Valparaíso (Pazifik)

[Valparaíso] Die Stadt ist Santiagos Hafen am Pazifik, hier kamen früher alle an, die nach Chile wollten. Später entwickelte sich der Ort dann zur mondänen Sommerresidenz vieler Städter, die sich eine Wohnung oder ein Haus in Valparaíso – oder noch etwas mondäner – im benachbarten Vina del Mar leisten konnten. Die Stadt überzieht eine Vielzahl von Hügeln am Meer mit eher kleinen Häusern bzw. Hütten, die oftmals sehr simpel gebaut sind und teilweise zum Tal hin auf Stelzen stehen, die nicht nach irgendeiner Bauordnung aussehen. Die Stadtentwicklung verlief von Beginn an chaotisch: Es gibt kein echtes Gründungsdatum, ein bestehender indigener Marktfleck wurde irgendwann von Spaniern „entdeckt“ und zum Hafen ausgebaut. Die Neuankömmlinge bauten sich über Jahrhunderte Häuser, Meer und Erdbeben (gelegentlich Piraten) zerstörten die Siedlung und das Bauen begann von vorne. Oftmals bauten sich die Familien ein Haus aus Strandgut und Hafenfunden an einen Hügel und kümmerten sich erst später um eine Gasse und Anschluss ans Straßennetz. So entstand eine bunte, eher chaotisch wirkende Siedlungsstruktur, die zudem durch den Hang zu Streetart und Graffiti im 20. Jahrhundert bis heute in Farben getaucht wird.

Als einer der größten Häfen auf der pazifischen Seite Südamerikas gewann Valparaíso im 19. Jahrhundert nach der Unabhängigkeit und dem Ende des spanischen Handelsmonopols massiv an Bedeutung und zog eine Vielzahl von europäischen Handelshäusern an. Dazu gehörten auch viele englische und deutsche Kaufleute und Auswanderer. Insbesondere die deutschen Traditionen sind hier viel stärker wahrnehmbar als in Santiago: Auf dem Cerro Miraflores und der Umgebung siedelten die Deutschen, ihr Erbe im Stadtbild drückt sich in der Avenida Alemania oder dem Plaza Bismarck aus. Da das deutsche Vereinswesen auch nicht vor Südamerika Halt machte, gibt es seit über 180 Jahren eine „Deutsche Gesellschaft“ in Valparaíso. Beeindruckend auch die „Deutsche Feuerwehr“, die am Hauptplatz angesiedelt ist und in der noch heute Einsatzfahrzeuge mit der Aufschrift „Feuerwehr“ und „Bomba Germania – Stadt Valoparaíso“ auf den nächsten Einsatz warten.

Die Bedeutung der Stadt und mit ihr die Bedeutung der europäischen Handelshäuser und Firmen nahm ab dem frühen 20. Jahrhundert stark ab: erst das große Erdbeben von 1906, das Großteile der Stadt zerstörte, dann die Eröffnung des Panama-Kanals 1914, der dem Hafen seiner strategischen Vorteile nahm, und schließlich die Weltwirtschaftskrise mit dem Börsencrash 1929 raubten der Stadt ihre Wirtschaftskraft. Heute stehen im Hafenbereich viele alte Bürgerhäuser und ehemalige Bank- und Handelshäuser leer und verfallen. Die Stadt strahlt stellenweise einen leicht morbiden Charme aus, den sie dann aber mit einer Vielzahl von Cafés, Galerien, sozialen Projekten und insbesondere farbenfrohen Fassaden (vgl. Blog 58 zur Streetart in Valparaíso) wieder wettmacht.

Eine Besonderheit der Stadt ist ihre potentielle Fragilität: Zum ersten Mal im Leben stößt man als Westeuropäer*in hier auf Straßenschilder, die einem den Fluchtweg im Fall eines Tsunamis weisen. Nach Angaben von Bewohnern ist die Erde täglich in Bewegung, nur spürt man die Mini-Beben in der Regel nicht.

Die letzten großen Beben waren das verheerende Erdbeben von 1906, nach dem Zweiten Weltkrieg waren größere Beben 1965, 1971, 1985, 2010 und zuletzt 2017 zu verzeichnen. Daher sollte man sich das Schild mit der Tsunami-Warnung und dem Hinweis zu den schnellsten Rettungswegen durchaus genauer anschauen …

Ein Erdbeben der Stärke 8,2 tötete 3.000 Menschen und verletzte 20.000

You may also like...