[Conil de la Frontera] Nach langer Fahrt mit vielen neuen Erfahrungen treffen wir Anfang November auf einen alten Bekannten: Conil! Für uns ein Sehnsuchtsort seit wir unsere Hochzeitsreise 1998 dort als Rucksackreisende starteten. Damals wie heute ein kleiner Ort, der bis in die 60er-Jahre vom Fischfang und der Landwirtschaft lebte und dann völlig vom Tourismus eingenommen wurde: erst die Spanier (Sommerziel und Zweitwohnsitz für viele Menschen aus Sevilla), dann deutsche, holländische und sonstige europäische Rucksackreisende und Yogi-Meister und schließlich ein fixes Quantum an (vornehmlich deutschen) Sprachschüler*innen. Auf die ca. 23.000 Einwohner*innen kommt ein Vielfaches an Tourist*innen und trotzdem hat sich der Ort (eines der sog. „weißen Dörfer“ Andalusiens) seinen Charme und seine intakten Strukturen erhalten.
Conil liegt so südlich, dass wir Mitte November im T-Shirt auf der Dachterrasse sitzen können; allerdings müssen wir uns gelegentlich in den Windschatten der Mauern bewegen, denn neben der Stärke Sonne dominiert hier der immer wieder aufkommende Wind den Tag. Es gibt viel Wind (sehr viel Wind aus dem Osten … den „Viento de Levante“ oder einfach „Levante“) und man spürt förmlich, wie sich der Atlantik und dessen Winde durch die enge Straße von Gibraltar quetschen müssen. Eine Ecke der Welt, an der sich Europa und Afrika ziemlich nah gegenüberstehen; so nah, dass man sich auf der Küstenstraße zwischen Algeciras und Tarifa über das riesige Gebirge wundert, dass sich plötzlich neben einem auftut … erst wenn man mit Staunen erkennt, dass das Gebirge dort der Atlas ist und das Land dort Afrika, wird einem klar, wie nah sich die beiden Kontinente hier kommen und wie natürlich es ist, dass Migration hier über Jahrhunderte bis heute ein sehr naheliegendes Phänomen ist (dazu in einem späteren Blog-Beitrag mehr).
Conil liegt etwas nordwestlich der Straße von Gibraltar, wurde aber lange von den historischen Handels- und Seefahrtsrouten der Antike geprägt (wenn auch ohne eigenen Hafen): Der Ort profitierte von der römischen Via Augusta, die Narbo Martius (heute Narbonne) mit Gades (heute Cadiz) verband und die gesamte östliche und süd-östliche Küste der iberischen Halbinsel erschloss. 1000 Jahre nach den Römern und nach ein paar Jahrhunderten der sog. christlichen „Reconquista“ taucht Conil in den Geschichtsbüchern wieder auf: 1265 erhiet Conil den Zusatz „de la Frontera“, da er mit anderen Orten wie Jerez (de la Frontera) die damalige Grenze zwischen christlichen und muslimischen Gebieten markierte (die letzten Reste des muslimisch beherrschten „Al Andaluz“ sammelten sich im nasridischen Königreich mit Sitz in Granada bis auch dieses 1492 besiegt und aufgelöst wurde).
In diesem kleinen, weißen Dorf auf historischen Grund lassen wir uns also jetzt nieder und reihen uns ein in den ungezählten Strom deutscher Sprachurlauber*innen, die hier auch im November noch in erstaunlicher Anzahl anutreffen sind. Das Zauberwort für spanische Sprachschulen und für deutsche Arbeitnehmer*innen scheint „Bildungsurlaub“ zu sein (wird gar nicht erst ins Spanische übersetzt, so speziell ist das; „soy Bildungsurlaub!“). Der deutsche Bildungsgutschein hat ganz offensichtlich eine neue Reisebranche generiert, von der international Orte wie Conil jenseits der Hauptsaison satt profitieren.
Viele kommen offenbar auch mal für eine einzige Woche Bildungsurlaub nach Andalusien und geben sich der angenehmen Illusion hin, dass man zwischen Surfen, Strandgängen, saftigen Tapas und süffigen „Tintos de Verano“ (Rotwein mit Zitronenlimonade) in fünf Tagen effektiv Spanisch lernt, während man sich den größten Teil der wenigen Tage mit deutschsprachigen Bildungsurlauber*innen austauscht. Wir machen das natürlich völlig anders und gönnen uns die Tintos de Verano für vier bis fünf Wochen. Ob die Verlängerung des Schönen zur Vertiefung des Sprachlichen führt, werden wir erst im Rückblick berichten können. So oder so tut der Süden Nordlichtern wie uns einfach gut … hier geht jeden Morgen die Sonne auf!