[Pontevedra] Neben dem bereits erwähnten effektiven Umgang mit dem Müll fällt hier eine sehr effiziente Pflege der öffentlichen Infrastruktur auf. Als in Folge der starken Regenfälle und eines starken Windes vor ein paar Tagen die Wasserkanäle neben bzw. unter den Straßen am Hang überquollen und mit ihrem Druck an einigen Stellen die Gullideckel hochdrückten, sah man am besorgte Hauseigentümer im Regen stehen und die Lage beraten. Zwei Tage später waren Straßenarbeiter vor Ort, gruben die Straße auf und erneuerten das offenbar schadhafte Rohrsystem. In Pontevedra hatte der Sturm eine Reihe von großen alten Bäumen umgenietet. Da unser Weg vom Parkplatz am Bahnhof zur Sprachschule im Zentrum durch einen Park führte, konnten wir beobachten, wie schnell die Bäume vor Ort zerkleinert, die Schadstellen versorgt und die Schäden (Gehwege, Bänke, Aufgänge) behoben wurden. Drei Tage nach dem Sturm war jede „Unordnung“ beseitigt.
Da Galizien eher konservativ veranlagt ist, waren wir ziemlich sicher, dass Pontevedra als Stadt eine rechte Regierung aufweist. Im Gespräch mit unserer allseits gut informierten Spanischlehrerin Christina erfuhren wird, dass der „Bloque Nacionalista Galego“ (BNG) hier seit Jahren den Bürgermeister stellt, womit unsere Vermutung bestätigt wurde. Christina outete sich selbst als Wählerin der regierenden „Izquierda“, was uns für den Rest der Stunde die Lust am Unterricht raubte. Erst auf der Rückfahrt und unter Hebung der ganz offensichtlich rudimentären spanischen Grundkenntnisse ging uns auf, dass „Izquierda“ die „Linke“ bedeutet. Ein Blick ins Netz bestätigte, dass Miguel Anxo Fernández Lores seit 1999 Bürgermeister von Pontevedra ist. Er ist sogar der erste Linke (und Nationalist), der die Stadt regiert. Seit dem Franco-Regime war die Stadt immer rechts regiert.
Drei Dinge konnten wir neudeutsch als „Learning“ mitnehmen: Erstens können auch Linke für Ordnung sorgen und ein funktionsfähiges Gemeinwesen organisieren! Zweitens sollte man nicht zu schnell die Schablonen im Kopf aktivieren. Und Drittens müssen wir dringend an unserem spanischen Grundwortschatz arbeiten.
Im Jahr 2013 erhielt Fernández Lores sogar den „Premio Nacional Pablo de Tarso“, der für gute Regierungsführung verliehen wird. Noch beeindruckter waren wir aber von der klaren Aussage unserer Stadtbürgerin Christina, die im Jahr 2024 einfach in jeder Hinsicht mit ihrer kommunalen Regierung zufrieden ist. Aus Berliner Sicht ein erwähnenswerter Umstand …
Zeitgleich erfährt man hier aus der Ferne, dass die Berliner Linke sich gerade auflöst. Der allseits gegenwärtige Israel-/Palästina-Konflikt war auf dem letzten Parteitag der Linkspartei der Lackmustest für den Grad an antisemitischen Strömungen innerhalb der Partei. Im Ergebnis haben ausgerechnet gestandene und glaubwürdige Politiker*innen wie Klaus Lederer, Elke Breitenbach, Sebastian Scheel, Carsten Schatz und Sebastian Schlüsselburg die Partei verlassen. Jetzt fehlen der Berliner Linkspartei mit der politischen Konkurrenz der BSW von Wagenknecht nicht nur Teile der Stammwähler*innen sondern auch das glaubwürdige und erfahrene Führungspersonal. Während hier in Spanien eine konstruktive Kooperation der linken Kräfte die Rechten und Populisten verhindert, demontiert sich die gesellschaftliche Linke in Deutschland jeden Tag ein Stückchen mehr. Damit sinken täglich die Chancen, der AfD und den nationalistischen Kräften in den „etablierten“ Parteien im Wahljahr 2025 glaubwürdig etwas entgegenzusetzen. Es wird auch angesichts der Schwäche der SPD im Bund und in den Ländern immer offensichtlicher, dass das Bisherige nicht das Bewährte ist. Zeit für neue Ansätze, weniger reflexhaftes Agieren und weniger Schablonen im Kopf bei der Neubestimmung dessen, was heute „links“ ist. Auch in diesem Sinne kann der Blick ins Ausland ertragreich sein.