In der zweiten Oktober-Woche tauchten Hinweise auf, dass am kommenden Samstag, den 12. Oktober, kein Brot geliefert wird, es war von einem kirchlichen Feiertag die Rede. In Pontevedra wurden wir auf den anstehenden Nationalfeiertag verwiesen und im Spanisch-Kurs wurde der Tag historisch als „Tag der Rasse“ eingeordnet … Spanien hat mit dem 12. Oktober ganz offensichtlich einen vielschichten Feiertag ausgewählt.
Fast alle Staaten feiern einen Nationalfeiertag, der oftmals mit der eigenen Unabhängigkeit (Uruguay, USA, Nicaragua), einer Revolution (Frankreich), einem Verfassungsreferendum (Italien) oder der schlichten staatlichen Wiedervereinigung (Deutschland) verbunden ist. Spanien gedenkt mit dem „Fiesta Nacional de España“ am 12. Oktober des Jahres der „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Kolumbus (Cristóbal Colón) am 12.10.1492. Eine „Entdeckung“ war das nur aus europäischer Perspektive, aus Perspektive der indigenen Ur-Bevölkerung stellt der Tag den Beginn einer blutigen Eroberung und rücksichtslosen Ausbeutung dar, die sich über Jahrhunderte hinzieht. Der „Columbus-Tag“, den auch andere Länder kennen, wurde in Spanien seit 1914 als „Fiesta de la Raza Española“ („Tag der spanischen Rasse“) gefeiert, später dann in „Día de la Hispanidad“ („Tag der Hispanität“). 1987 verlor der Feiertag auf Betreiben der sozialdemokratischen Regierung González alle Attribute, blieb aber Nationalfeiertag. In der heutigen Gesellschaft sind die historischen Bezeichnungen trotzdem weiterhin lebendig und umstritten. Die linke Zeitung „El Salto“ forderte 2020 die Abschaffung des Feiertags unter dem Titel „12. Oktober – Nichts zu feiern, viel zum Nachdenken„, da der Tag stehe für „exhibición de poderío, intimidación y militarismo“ (Macht, Einschüchterung und Militarismus) stehe.
Die ehemaligen spanisch besetzten Territorien haben in der Zwischenzeit ihren eigenen Umgang mit dem übergriffigen Feiertag gefunden und ihn schlicht umgemünzt. In Chile wurde der Feiertag 2000 etwas beschönigend in „Día del Encuentro de Dos Mundos“ (Tag der Begegnung zweier Welten) umbenannt. Im aufmüpfigen Venezuela 2002 in „Día de la Resistenca Indígena“ (Tag des indigenen Widerstands), in Bolivien 2011 etwas anachronistisch in „Día de la Descolonización“ (Tag der Dekolonialisierung), in Ecuador etwas sperrig in „Día de la Interculturalidad y la Plurinacionalidad“ (Tag der Interkulturalität und Plurinationalität). Wirklich konsequent war nur Kuba: dort wurde der spanische Feiertag schlicht abgeschafft.
Auch dieser umstrittene Feiertag ist ein weiteres Beispiel vom Zusammenspiel von Staat und Kirche zu Lasten Dritter über viele Jahrhunderte. „Lo que la espada manchaba de sangre, la cruz lo iba limpiando“ („Was das Schwert mit Blut befleckte, reinigte das Kreuz“) stellte El Salto zum kolonialen Raubzug Spaniens und der Kirche nüchtern fest. Die Perfektion dieses Zusammenspiels manifestiert sich nicht zuletzt am Festtag des 12. Oktober wie aus dem Lehrbuch: Die Kirche feiert am 12. Oktober die „Fiestas de Pilar„: 40 nach Christus scheint die Jungfrau Maria dem hier bereits bekannten Apostel Santiago (siehe Blog-Beitrag #16) auf einer Säule in der Nähe der heutigen Stadt Zaragoza erschienen zu sein. Sie ist Schutzpatronin Zaragozas und Spaniens Nationalheilige und soll – wie der Apostel selbst auch – einige Male zugunsten der christlichen Heere und zulasten der maurischen „Ungläubigen“ in den Verlauf der „Reconquista“ eingegriffen haben. 1908 soll sie vom spanischen Militär zum Generalkapitän der Streitmacht ernannt worden sein (allen Ernstes: Quelle; Quelle2).
Rein zeitlich macht diese würzige Mischung aus dies- und jenseitigen Ingredienzien Sinn: Der kirchliche wie weltliche Feiertag fallen in die Zeit des (christlichen) Erntedankfestes. Ohne Zweifel war es eine langanhaltende, reiche Ernte, die sich für die Spanier 1492 am 12. Oktober auftat. Und ohne Zweifel war das weitere Agieren keine Zierde für die „spanische Rasse“ oder die globale „Hispanität“. Wie El Salto richtig feststellte: 12. Oktober – Nichts zu feiern, viel zum Nachdenken!
LM, interessante Details. P.