Sehenswürdigkeiten Unterwegs

#74 | Jurassic-Park-Feeling in Bolivien

[Sucre] Die bolivianische Hauptstadt Sucre liegt etwa 2.800 Meter über dem Meeresspiegel im Landesinneren von Bolivien und in einem von Hügeln umgebenen Tal. Es ist schwer vorstellbar, dass hier vor ein paar Jahren ein Meeresarm die Gegend mit Wasser bedeckt hat. Auch wenn der Gedanke wahrscheinlich Balsam für das bolivianische Trauma (Verlust des Pazifikzugangs im Krieg mit Chile 1884) ist, so steht man doch etwas orientierungslos oberhalb von Sucre am Rande eines Zementwerks und versucht sich die Landschaft maritimer vorzustellen. Aber dann dreht man sich um, betritt „Cal Orck’o“ (Quechua für Kalkberg) und findet sich 67 Millionen Jahre zurückversetzt.

In dem Steinbruch Cal Orck’o knapp 5 Kilometer nördlich von Sucre wurden 1994 Dinosaurierspuren entdeckt. Um genauer zu sein: es wurden über 12.000 individuelle Fußabdrücke von mindestens neun verschiedenen Saurierarten entdeckt, die knapp 500 Trampelpfaden zugeordnet werden konnten. Die Pfade führten vor 67 Millionen Jahren am Strand entlang bzw. zu Wasserstellen. Die Spuren kreuzen sich munter und wirken so frisch, als wäre gerade eine Horde Dinos am Horizont verschwunden. Mindestens so beeindruckend ist aber die Tatsache, dass die Spuren sich nicht auf einer horizontalen Ebene erhalten haben, sondern das Schauspiel sich auf einer fast vertikalen Wand verewigt hat. Die tektonischen Verschiebungen der Erdplatten haben die gesamte Sedimentsschicht mit den Spuren im Laufe der letzten 13 Millionen Jahren schlicht aufgestellt, so dass IMAX-Atmosphäre aufkommt, während man staunend vor der hochaufragenden Kalkwand steht.

Veranschaulichung der tektonischen Faltung

Erhalten haben sich die Spuren durch den kalkigen Untergrund, in den die Dinos getreten sind. In einer Trockenzeit sind die Spuren getrocknet und wurden dann durch Ablagerungen wie Sand und pflanzliche Reste verdeckt und aufgefüllt. Sedimente bildeten sich und im Laufe von Jahrtausenden versteinerten die Strukturen. Im weiteren Verlauf der Jahrmillionen drückten die tektonischen Kräfte die Sedimentplatten nach unten, die an einer Stelle brachen und sich falteten. Im 20. Jahrhundert dann wurde der Berg mit seinen Sedimenten im Tagebau abgetragen. Dies geschah Schicht für Schicht, daher hat sich die spezifische Schicht mit den Saurierspuren so gut erhalten und freilegen lassen.

Der Türsteher am Info-Zentrum

Ob es sich um einen riesigen Binnensee oder – wie in der Ausstellung ausgewiesen – um den „Golfo de Uyuni“ als Meeresarm mit Verbindung zum Atlantik gehandelt hat, müssen die Expert*innen klären. Für eine Süßwasserstelle spricht die Laufrichtung der Spuren, die überwiegend zum Ufer ausgerichtet waren. So oder so streiften Herden dieser Urviecher über diesen Landstrich und hinterließen der Nachwelt viel Stoff für die Wissenschaft und die Phantasie. Ein Mix aus Wissenschaft und Phantasie findet sich denn auch etwas oberhalb des Steinbruchs im Informationszentrum, das von Dinos in Lebensgröße umringt wird. Wie John Hammond in Jurassic Park lässt man der menschlichen Phantasie auch hier nicht ihren freien Lauf, sondern setzt ihr Replikanten vor. Je größer und T-Rex-artiger, desto besser …