[Am Rhein] Der Tag startet mit einem Zwischenstopp in Freiburg, wo letzte Reiseutensilien (Packing Cubes, können für Rucksackreisende zu 100% empfohlen werden!) gekauft werden und der sonnige Morgen in dieser jungen, studentisch geprägten Stadt bei einem Kaffee genossen wird.
Auf dem Weg zum Auto stolpern wir im wahrsten Sinne des Wortes einmal mehr über Stolpersteine, die sich in sovielen deutschen Städten um die Erinnerung an deportierte Juden und Jüdinnen verdient gemacht haben. Es gilt heute mehr denn je, dass die Toten erst dann wirklich gestorben sind, wenn ihner keiner mehr gedenkt. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass wir in Deutschland wieder mit einem offenen und breit verankerten Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen haben. Der Spruch „Wehret den Anfängen!“ klingt angesichts der aktuellen Entwicklungen in unserem Land hohl. So steht man vor den Gedenksteinen der jüdischen Opfer und denkt „Nie wieder ist jetzt!“.
Die gegenwärtigen Gedanken an die Vergangenheit begleiten uns auch auf der weiteren Fahrt, als wir über den Rhein nach Frankreich übersetzen. Wir fahren frei und ohne jede amtliche Kontrolle als EU-Bürger*innen über die Grenze, die in der Geschichte so oft Anlass für furchtbare Kriege war. Hier waren künstlich Grenzen von „Mächtigen“ mehr oder weniger willkürlich gezogen, korrigiert und wieder gezogen worden, die für viele weniger Mächtige nicht ohne weiteres zu überwienden waren. Rassistisch oder politisch Verfolgte konnten oftmals selbst bei Lebensgefahr nicht auf einen Grenzübertritt oder Asyl rechnen. Die „Freizügigkeit“ täuscht auch heute, denn so schön der Wegfall von Binnengrenzen für uns Deutsche ist, so abschreckend und oftmals tödlich sind die Außengrenzen der EU heute für Menschen in Not, die nicht das Privleg einer EU-Staatsbürgerschaft haben.
Während wir die nicht wahrnehmbare, aber doch reale Grenze nach Frankreich überfahren, wird in Berlin gerade entschieden, dass wenige Tage später die Kontrolle und Möglichkeit von „Zurückweisungen“ an den Binnengrenzen Deutschlands wieder eingeführt wird. Eine Schande für Deutschland im doppelten Sinn: Erneut geht die SPD-geführte Bundesregierung mit einer grünen Außenministerin der Rhetorik von Rechtspopulisten auf den Leim und verschiebt das politische Koordinatensystem nach rechts außen. Wenige Einzelfälle von (durchaus) terroristischen Übergriffen genügen offenbar, damit das allgemeine Grundrecht auf Asyl und die Freizügigkeit in Europa grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zweitens verhält sich Deutschland gegenüber seinen Nachbarländern, die tatsächlich über Außengrenzen mit hohen Migrationsdruck verfügen, schlicht unsolidarisch. Auch gegenüber Frankreich. Das Nervengift der Populisten („America first“, „Les Français d’abord“, „Deutschland den Deutschen“ etc.) hat seine toxische Wirkung schon lange auch in der bürgerlichen und politischen Mitte und den rot-grünen Milieus entwickelt.
Das Projekt einer europäischen Solidargemeinschaft stand seit den ersten europäischen Verträgen noch nie auf so wackligen Füßen. In diesem Bewußtsein schätzt man die (noch) offenen Grenzen. Und genießt die natürliche Annäherung, mit der die französischen Vogesen auf den deutschen Schwarzwald zuzulaufen scheinen (oder ist es umgekehrt?). Der Rhein liegt entspannt in seinem Bett. Es ist insgesamt ein Tick zu beschaulich für diese angespannten Zeiten.