[Berlin] Heute ist der 1. September 2025 und es ist exakt ein Jahr her, dass wir unsere Wohnung (in letzter Minute) geräumt und an die Zwischenmieter übergeben haben. Es erscheint einerseits wahnsinnig lange her und gleichzeitig ist alles so vertraut, als hätten wir gerade gestern die Türe hinter uns geschlossen. Das betrifft die „Weltreise“ in Gänze: es scheint zwei Dimensionen der Betrachtung zu geben, die das Jahr einerseits lang machen und mit Tausend Erfahrungen und Eindrücken füllen. Die andere Dimension ist das Verhaftet-Sein, die Familie in der Ferne und die täglichen Gedanken an die Heimat, die Zeit und Raum so verkürzen, dass das Jahr kurz erscheint. Eine sehr eigenartige Erfahrung.
Wir haben uns vorher und auch jetzt im Rückblick natürlich gefragt, ob ein durchgehendes Jahr im Ausland nicht die Persönlichkeit verändert bzw. verändern muss. Die Antwort fällt bei Menschen um die 20 (von denen wir sehr viele auf unserer Reise getroffen haben) vermutlich anders aus als bei Menschen mit 58 Jahren. Ziemlich eindeutig: nein, die Persönlichkeit ändert eine solche Reise nicht, aber den persönlichen Erfahrungsschatz (auch in Form der fortwährenden Erfahrung mit sich selbst in „fremden“ Situationen) verändert ein solches Auslandsjahr schon.
Unsere Kinder haben uns gleich nach Rückkehr nach der intensivsten Erfahrung gefragt, auch das ist schwierig zu beantworten: es gab eine Reihe von sehr eindrücklichen Erlebnissen, die in der Natur (wie die unglaubliche Bergwelt der Anden, die Salzwüsten Chiles und Boliviens, die Flußlandschaften Guatemalas), in der Kultur (an erster Stelle Machu Picchu, aber auch die Maja-Bauten und die uralten Religionen und Kulturzeugnisse der indigen Völker in diversen Ländern Süd- und Mittelamerikas) und in den Menschen (Vielzahl von interessanten Begegnungen) gründen. Die intensivste Erfahrung im Sinne der nachhaltigsten Erfahrung bestand jedoch im Lesen und Erschließen der lateinamerikanischen Geschichte und Politik, die (aus europäischer Perspektive seit 1492) eine Geschichte der Ausbeutung und Unterdrückung ist, die bis heute anhält. Die größte Lehre des sicherlich nur punktuellen Streifzuges durch die verschiedenen Länder Süd- und Mittelamerikas ist die Erkenntnis, dass das Muster der Inbesitznahme des Landes, der Ausbeutung der Ressourcen, der Unterdrückung der indigenen Völker und die Etablierung einer herrschenden „Elite“ weißer, europäisch-stämmiger Männer überall gleich war und bis heute nachwirkt.
Politisch waren fast alle Gespräche deprimierend und von der schulterzuckenden Feststellung „Das ist halt Lateinamerika“ geprägt. Deprimierend war auch die Tatsache, dass bei unserer Abfahrt vor einem Jahr in den USA noch eine demokratisch orientierte Regierung an der Macht war und in Deutschland eine SPD-geführte Regierung. Bei Rückkehr dagegen war in den USA der personalisierte Irrsinn an der Macht und in Deutschland ein Mann, der gegen den Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat. Zudem hat nicht nur die AfD in dem zurückliegenden Jahr an Zustimmung gewonnen, sondern auch der politische Diskurs der vermeintlichen Mitte hat sich deutlich nach rechts verschoben. Ein Thema für viele abendliche Gespräche in Lateinamerika, die letztlich darin mündeten, dass wir politisierter als zuvor zurückkehren.
Der Einstieg in Berlin wird allerdings durch berufliche Entwicklungen überlagert, die vorab nicht absehbar waren und die auch einer geruhsamen Beendigung dieses Blogs entgegenstehen. Daher kann hier nur ein kurzes, erstes Fazit erfolgen und drei Blog-Beiträge bleiben noch ausstehend, die sich u.a. a) mit der unglücklich agierenden Linken in Guatemala (und Bolivien) beschäftigen und b) mit der neuesten Ausbeutungsrunde Lateinamerikas befassen, dem weißen Gold Lithium, das wir alle hier im Westen so dringend benötigen für unsere ganz persönliche Verkehrs- und Klimawende … Zum Schluss ein Dank an Südamerika und seine Menschen, für alles, was wir erleben durften. Ein Dank aber auch an unsere Familien und Freunde, für ihre Geduld mit unserer Abwesenheit und für das In-Kontakt-Bleiben. Und dafür, dass wir gesund zurückkommen durften. Danke!

Hiermit endet dieser Blog. Dank auch an alle treuen Leser*innen …