[Lissac-sur-Couze/ Nouvelle Aquitaine] In der Wahrnehmung Deutscher (und wahrscheinlich all der anderen Nicht-Franzosen) besteht Frankreich vornehmlich aus Paris und den touristischen Rändern am Ärmelkanal, am Atlantik, am Mittelmeer und am Rhein. Das große Mittelstück ist in der Regel reine Durchfahrt, auf der Autobahn mal eine Raststation mit Blick ins Grüne, auf der Nationalstraße schon eher mal ein Blick in die französische Provinz. Es gibt Tausende von Orten „Irgendetwas-sur-Irgendwo“, wir haben uns auf der Durchreise für das Örtchen Lissac-sur-Couze“ entschieden. Obwohl der Ort für uns völlig neu ist, ist er nicht unvertraut: Kirche, kleines Schloss, Kriegerdenkmal mit vier Kriegen (der längste war nicht der zweite Weltkrieg sondern der Algerien-Krieg). Da steht man nun als Deutscher im Jahr 2024 in diesen französischen Dörfern, deren Menschen den eigentlichen Preis für deutsche Angriffskriege bezahlen mussten und ist ein weiteres Mal dankbar, dass es die Europäische Union gibt.
Wir sind die Generation, deren Großväter noch in beiden Weltkriegen gegen Frankreich und gegen Franzosen als den „Erzfeind“ kämpften. Das Verdienst von zwei Generationen ist Frieden in Europa; dieses Verdienst ist jedoch kein Selbstläufer und steht erstmals seit 1945 ernsthaft auf der Kippe mit einer seit 2022 fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft im Inneren und Äußeren. Der französische (eigentlich gallische) Hahn trohnt in Lissac-sur-Couze unweit des Kriegerdenkmals auf seiner Stange, blickt in die weite Provinz und denkt sich seinen Teil.
Wie pragmatisch diese Provinz sein kann, lässt sich unterhalb des Federviehs beobachten: Das Französischste überhaupt wurde inzwischen vollautomatisiert, das Baguette! Mangels lebensfähiger Bäckereien behelfen sich die kleineren Orte inzwischen mit Automaten, aus denen man Brot bzw. Baguette ziehen kann. Das ist zwar furchtbar praktisch (allerdings war das Gerät leer, als wir am späten Nachmittag davor standen), aber irgendwie trauert man dann doch der guten alten Boulangerie nach, die nach warmem Brot roch und wo man für wenige Francs und mit noch weniger Französisch-Kenntnissen viel Baguette und Croissants erwerben konnte …
Trost spendete erneut die Unterkunft, die französischer nicht hätte sein können: alte Gemäuer wurden zu einem Gîte umfunktioniert, mit Obst- und Blumengarten sowie Jacuzzi auf einer Hügelspitze. Es gibt fast nicht Entspannenderes als ein nächtliches Bad unter freiem Himmel mit Blick in die Milchstraße. Auch im intergalaktischen Kontext ist der Fortschritt jedoch nicht zu übersehen: inzwischen hat Elon Musk so viele private Satelliten ins All geschossen, dass jede anfängliche Freude über vermeintliche Sternschnuppen am Himmel schnell schwindet, wenn man die leuchtenden Punkte wie auf einer befahrenen Autobahn am Himmel über sich wegziehen sieht … trotzdem eine sehr empfehlenswerte Art, den Tag zu beschließen.
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